Eine Person von früher

 

Meinem Urgroßvater Lorenz Kollmuß, genannt der Vatter, ist man besser aus dem Weg gegangen, weil er so ungut war. Glatzkopf, lange Nase, grantiges G’schau, schwarze Giletweste, schmal gestreiftes Hemd mit Stehkragen, lange dunkle Hosen, leicht gebeugt. 

Er war Strassner und Schreiner und hatte neben der Waschküch im Hof seine Werkstatt mit der Hobelbank und ordentlich aufgereihten Werkzeugen an den Wänden. 

Er hatte einen Sohn, meinen Opa, fünf Töchter, die Prietschen, eine Frau, die Muatter, und ettliche Urgroßkinder auch schon. Geboren muss er 1872 sein, denn er ist 1953 mit einundachzig Jahren gestorben.

Heut ist der fünfte März 2010, und ich will mit ihm reden. Mit Block und Bleistift und im Café.

 

So, Vatter, jetzt sind wir da. Das hier war  früher mal das Tschibo. Und, wie gefällts dir hier?

Der Kaffee ist nicht schlecht. Aber. Was ist das für eine gspinnerte Musik?

Das gehört so. Da läuft ein Recorder, und sie lassen dich nicht aus mit der Muzak.

Er schaut nicht glücklich aus, mein Urgroßvater, hockt auf dem Stuhl mir gegenüber mit einem runden Buckel, misstraurisch schaut er herum. Es kommt ihm kein Lächeln aus, früher auch schon. Schwarze Augen hat er, ich habs fast vergessen. Das Giléwesterl schlackert über seinem Brustkasten. Mager ist er geworden. Vatter?, sagt ich.

Gehen wir, sagt er. Es muss doch auch was Ruhiges geben.

Gut, sag ich. Ums Eck ist die Bücherei. – Die war zu. Da sind wir in die Seidlvilla gegangen. Die ist mehr nach seinem Geschmack.

Vornehm, vornehm, sagt er.

Kennst mich noch, Vatter?, frag ich plötzlich. 

Nicht recht, meint er und schaut mich zum ersten Mal richtig an. Musst mir draufhelfen.

Ich bin einer von den gselchten Affen, sag ich. So hast du deine Urgroßenkel geheißen, wenn sie in dein kostbares Gras gelaufen sind, und du hast es doch mähen und verkaufen wollen.

Ja, ja, sagt er. Sein tuts was. Ihr warts mir zuviel. Schon wieder das Gschwerl, die plärrerten Bankerten. Meine Ruh hätt ich haben wollen. Weegen der Ruh bin ich in meine Werkstatt, weil es in der Küch immer so zugegangen ist. D’Mutter und die Prietschen.

Deine fünf Töchter, sag ich. Rosi, Resi, Anni, Laura, Bini. 

Die haben mich einen Haufen Geld kost. Die Gründstück im Moos hab ich verkaufen müssen zwegen der Aussteuer. Hat ja eine jede eine haben müssen.

Nur der Fritz nicht, sag ich, dein Sohn, mein Opa. Zu dem warst du auch nicht grad freundlich.

Ausgestochen hat er mich. Alle sind sie um ihn rumscharwenzelt, um ihn und d’Mutter. Da war ich abgeschrieben. Da hab ich mich schleichen können. 

Hast auch. Sensen hast gedengelt und s’Gras gemäht. Wie es sich anhört, wenn die Schneid einen Schwaden schneidt. Weißt es noch? Und wie du die Eierrutschen aus dem Speicher deiner Werkstadt gezogen hast. Das waren zwei lange Fußbodenleisten mit Profil, oben und unten mit Querleisten zusammengehalten. Die sind auf dem Binrnbaumhuckel hingelegt worden. Das untere Ende ist auf der grauen Wolldecke gelegen. Jetzt hat ein jedes sein Ei oben auf die Rutsche gelegt und es runterkollern lassen. Wem sein Ei ein anderes angepeckt hat, dem hats gehört.

Lang her, sagt der Vatter.

Ja, sag ich. Und sinnieren beide vor uns hinn.

Wie du auf die Welt gekommen bist, sagt er dann, hab ich noch acht Jahr zum Leben gehabt. Und nie bin ich ein Soldat gewesen. Das hat mir gestunken.

Ja, sag ich. So ist die Red’ gegangen: Fürn 70er Krieg warst du zu jung und fürn 14/18er zu alt. 

Nie war ich dabei wie ein richtiger Mann. Und die Haufen Prietschen. Die Haar vom Kopf haben sie mir runtergefressen.

Jetzt sei doch nicht so schiach, sag ich. So redt man nicht mehr über Frauen. Aber da geht er gar nicht drauf ein. Ich versuche, ihn mir als Bub vorzustellen, als kleiner Bub im Kollmußhaus. Hennen und Geißen werden sie gehabt haben, vielleicht sogar ein Kuh. Der Dehner war ja gar nicht so klein, und oben im Gebälk hat viel Heu Platz gehabt. Die Holzleg war auch groß gebaut. Wer hat das Haus gebaut, sein Vater oder sein Großvater? Und wann? Mit dem Ochsenkarren haben sie die Tuffsteine aus dem Pollinger Steinbruch geholt, ja, der Satz ist auch ein Vermächtnis. Und dass die Kollmuß eigentlich aus Garmisch sind oder Mittenwald?, jedenfalls aus den Bergen. Und dass es da ja noch notiger zugegangen sein muss, wenn sie da raus sind und auf Weilheim zu. Irgend so ein jüngerer Sohn halt.

 Ein Großmus, sagt der Vatter plötzlich. Kennst das noch? Das war was Gutes, mit Milch. 

Ja, sag ich. Feiner Weizenschrot, das ist es, den kocht man auf mit Milch. Ich hab lang gebraucht, bis ich es gefunden hab. Auf dem Münchner Viktualienmarkt. Und einen Trieb hast du gehabt, fällt mir ein, einen starken.

Jetzt wird er rot, der Vatter. Untersteh dich!, sagt er.

Wenn d’Orgel noch spielt, zitiere ich meine Urgroßmutter, ist d’Kirch no net aus. 

Schamst di! schimpft er.

Die Tant Resi hat nicht ins Kino gehen dürfen, sag ich, weil d’Muatter, deine Ehefrau, sie daheim im Schlafzimmer hat haben wollen, da wo auch Zeit ihres Lebens ihr Bett war, damit du dich ein wenig zurückhältst. Über siebzig müßt ihr damals gewesen sein. Aber heut ist das normal, füg ich dazu.

Da schnauft er erleichtert.

Seniorensex, sag ich.

Er zuckt zusammen, hebt die Hand und will mir eine schmieren.

Das, sag ich, hast du zuletzt vor 55 Jahren getan.

Da haben dir seitmtdem ein paar gefehlt, meint er.

Du schiachs Mannsbild, sag ich. Das muss mal gesagt sein. Nur einmal warst du freundlich zu mir.

So? sagt er zweifelnd.

Damals, sag ich, ein paar Monate vor deinem Tod, bist du immer auf dem Sofa in der Küch gelegen, tagsüber, und die Tantt Resi hat dich gepflegt und bedient.

Dafür war sie ja auch da, sagt er.

Wie du meinst, sag ich. Es war Sylvester, und ich hab dir so ein kleines Marzipanschweinderl mit Kleeblatt geschenkt. Hab es auf die Tischkante gestellt, vor deine Augen und hab gesagt: Ein gutes neues Jahr. Und du hast das Schweinderl angeschaut und dich gefreut. Du hast gelächelt. Das war so selten und ich hab es nie vergessen. 

Danke, sagt mein Urgroßvater. Und jetzt wird’s Zeit, dass ich ein Häusl weitergeh. 

Pfüatdigott, Vatter, sag ich. Komm gut heim!

 

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