Die Roten Rüben der Stammmutter

 

 

Das ist eine Geschichte, die Paula immer einfällt, wenn sie Ranen, also Rote Rüben, schneidet: „Meine Urgroßmutter saß immer im mit Rosen geblümten Ohrensessel in der Küche. ‚Gib mir dein schönes Handerl!‘ sagte sie, und ich machte ein Knickserl. Ich hatte nichts dagegen, dass sie meine fünfjährige rechte Hand mit ihren braungefleckten, alten, adernüberzogenen Händen tätschelte, denn sie waren warm und weich. Dann durfte ich mich auf den runden Polster ihr zu Füßen setzen, der ebenfalls mit roten Rosen bedruckt und einer braunen Kordel eingefasst war.

Ich konnte die Mutter sehen, sie mich aber nicht, denn sie hatte den grauen Star. Mutter, so nannten sie ihre Töchter Rosi, Laura, Bini, Mari, Anni und Resi und auch der Fritzl, der ihr Erstgeborener war und mein Opa. Ebenso die Kinder der Kinder, Enkel und Urenkel. Sie war unsere Stammmutter. Es konnte sein, dass sich fast alle zusammen in der kleinen Küche drängten, um der Mutter zum Namenstag zu gratulieren. Das war ein Getöse an Mariä Geburt. Also, die Mutter konnte man anschauen, ohne dass sie einem selbst sah. Ich tat es aber nur aus den Augenwinkeln. Man glotzt doch nicht ungeniert jemanden an, der sich nicht wehren kann.

Die Mutter hatte eine schmalrückige, langgebogene Nase wie ein Vogel. Wenn ihre Hände aufhörten, mir über den Kopf zu streicheln, strichen sie ihre weißen Haarstähnen hinter die mürben Ohren. In den dicken, mit feinem Flaum bewachsenen Ohrläppchen, hingen kleine Goldohrringel. Sie seufzte, die Mutter, weil sie blind und unnütz war und vielleicht auch, weil ihr der Hintern weh tat: ‚Ana-rana, ana-rana!‘

Damals hab ich gemeint, sie meint damit die Ranen, die roten Rüben für den Salat. Die hat man im Dämpfer gekocht, heiß geschält und geblattelt. Mit einem Schöpfer Suppe, einem Schuss Essig, Salz und Pfeffer angemacht und einen Tag lang ziehen lassen. Und zwar im Vorhäusl, wo es kühl war und die Schüssel mit einem Teller bedeckt, damit keine Fliegen hineinfallen.

„Und heute?“, fragt die Küchenfee. „Wie machst du heute die Ranen?“

„Genauso“, sagt Paula. „Dafür braucht’s kein Rezept.

Nur 4 – 5 kleinere Ranen. Da meine ich immer, die sind zarter. Heiß schälen, in Scheiben schneiden, wiegesagt, und mit viel Kümmel, ein bisschen Zucker. Erst kurz vor dem Essen frisch geriebenen Meerrettich und und 1 EL Öl dazu.

Man kann die Ranenscheiben auch auf eine Platte legen, mit einer Marinade aus Essig, Öl und Dijonsenf, Salz und Pfeffer überziehen und mit hartgekochten, gehackten Eiern bestreuen.“

„Sieht sieht sehr gut aus!“, sagt die Küchenfee zufrieden, die während Paulas Beschreibung den Salat Schritt für Schritt herbeigezaubert hat. Und durchgezogen ist er auch schon. Na, sowas. Sie essen ihn gleich. Ana-rana, ana-rana!

 

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