Abschied der Sennerin

 

 

Die Almhütte hat kleine Fenster, die Rahmen sind fest, stabil, gut verzahnt und nicht allzu groß. Heute sieht man Nebelschwaden, die drübern Hänge verschwimmen. Alles ist steil. Es gibt Kuhtrittwege im unteren Wiesenhang. Man hört Glocken, die Kühe selbst sieht man nicht.

Man muss was tun in dieser Welt: die Stube kehren, den Stall misten, frisch einstreuen. In der Milchkammer die Käsleibe waschen, das muss sein jeden Tag. In der Küche den Ofen anschüren, Wasser aufsetzen, die Milchkessel ausbrühen und schrubben. Fleißig sein, die Last auf die Schultern nehmen. Die Küh kommen zum Melken, jetzt kann man sie auch striegeln und streicheln.

Braucht sie Leut, die alte Sennerin? Die Katz schmiegt sich an ihre Beine. Leute? Ja, einmal die Woche steigt einer herauf, holt den fertigen Käs ab, bringt ihr Speck, Kraut, auch Wein. Mag sie den Mann? Hat sie was mit ihm? Lässt sie sich derart ein? Eher nicht. Was für einer ist es denn? Es ist der Herr, ihm gehört die Alm, er ist einer mit Macht und Durchblick, und heut bringt er ihr alles durcheinander. Sie soll gehen. Die Alm wird geschlossen, die Kühe werden weggetan.

 

Nichts ist mehr wie vorher, alles in Frage gestellt: Die täglichen Verrichtungen, der Fleiß, die Pünktlichkeit, Sorgfalt, Sparsamkeit, Genügsamkeit und die Güte und Qualität ihrer Arbeit. Die alt gewordene Frau fährt sich mit der Hand über die Stirn. Ich hätt es wissen müssen, sagt sie, dass es mal ein End hat. 

Jetzt stell dich nicht so, sagt der Mann. Geh runter, mach es dir im Tal bequem. Auf meinem Hof gibt es auch für dich einen Platz am Fernseher, sagt er, und genug zum Essen.

Aber ich kann meine Händ nicht in den Schoß legen, sagt die Frau. Wer bin ich denn sonst? Zu nichts nütz und keine Sennerin mehr. Jetzt steht sie da. Dann nimmt sie einen Stecken und verlässt die Alm.

Sie ist nicht mehr so trittfest wie früher. Der Weg ist schmal, ein Stein bringt sie ins Stolpern. Die alte Sennerin rutscht aus, verliert das Gleichgewicht, fällt und kollert ein paar Meter, bevor sie den steilen Hang hinunterstürzt. Sie greift nach Grasbüscheln und Gesträuch, aber es geht dahin. Und dann kriegt sie einen Schlag, dass ihr die Luft weg bleibt und schwarz vor Augen wird.

Als sie wieder zu sich kommt, hört sie eine Stimme krächzen: Immer schön langsam mit der Braut. Zwei Hände helfen ihr auf, dann schaut sie einer steinalten Frau ins zerfurchte Gesicht. Granitgrau ist das Gewand der Uralten, schwarz ihr großes Umhängtuch, das sie über die wirren, weißen Haare gezogen hat, eine Sichel hängt ihr am Rockbund.

Hat er dir den Schneid abgekauft, mein Herr Sohn, sagt die Uralte und grinst, dass man ihre Zähne sehen kann. Sie hat noch alle und die Eckzähne sind besonders groß. Hat er dich aus deiner Gewohnheit geholt, zum nutzlosen alten Weiberts gemacht?, fragt sie.

Die Sennerin nickt. Friss Vogel oder stirb.

Und du, du bist gestorben. Hast alles hingeschmissen, von nix mehr was wissen wollen. Willst erlöst sein von dir selber. Aber so leicht geht’s fei nicht.

Jetzt kenn ich dich, ruft die Sennerin, du bist die schwarz Frau Hollerin. Jetzt bin ich aber gespannt, wie’s weitergeht und wo ich bei dir hinkomm. 

Wie hätt’st es denn gern?, fragt die Uralte.

Die tote Sennerin möchte auf einer Wiese sein, zwischen Margeriten und Lichtnelken, während in der Luft die Schwaiberl schwirren. Sie tät die Gäns hüten und am Abend heim treiben. Dann gäb’s eine Suppe mit Brot und ein Bett mit Daunenfedern.

Das tät dir so passen, sagt die schwarz Frau Hollerin. Schau, dass’d weiter kommst! Husch, husch, husch, zurück ins Leben. Du bist noch nicht fertig damit.

 

Die alte Sennerin kommt mit einem verstauchten Fuß auf dem schmalen Weg wieder zu sich und muss hinunterhatschen ins Tal. Wo sie auf dem Hof hilft, so gut es geht, und abends vor dem Fernseher strickt, weil da kleine Kinder sind, die gut ein warmes Jackerl brauchen können.

 

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