Es ist Freitagabend, und das Glück soll kommen, und zwar auf             einen Schlag!

  

Ursula hat ein Gewicht auf dem Schoss, warm und schwer wie früher der alte Kater, aber jetzt ist es der Labtop. Da sitzt sie in ihrem Grossvatersessel und legt eine Patience nach der andern, fummelt mit dem Zeigefinger sanft über die zarte Sensorfläche, bewegt das Pfeilchen von Spielkarte zu Spielkarte. Schwarze Dame auf roten König. Klick. Und wo ist jetzt der Bub? Keiner da. Ursula langweilt sich halbtot. Aber sie kann nicht aufhören, glotzt auf den hellen Monitor, bis ihr die Augen weh tun. Und ausschalten geht nicht. Weil, was kommt danach? Danach spürt sie das Alleinsein noch viel mehr.

Telefonieren kann sie auch nicht mehr, denn inzwischen ist sie so arm dran, dass man es ihrer Stimme anmerken tät. Heute hat jede Freundin schon was verabredet, und Johann ist unterwegs, abends ist Johann immer unterwegs. Dabei ist Johann doch zuständig für Ursulas Glück, oder vielleicht nicht?

Früher, ja früher, da war er ihr Glück, und nicht nur am Freitagabend. Johann war die grosse Ausnahme und hinreissend! Jetzt geht nichts mehr. Reden auch nicht, und wenn, dann hat nur Johann recht. Er führt sich auf wie ein jedes Mannsbild.

Ursula denkt hin und her, wie sie dem Johann auskommt, der Recht-haberei und dem Hick-Hack. Und warum sie nicht eins und eins zusammenzählen kann. Da fällt ihr was ein. Es ist ein Märchen.

Es war einmal und es war nicht - 

Da war und ist eine Prinzessin, die ihren Prinz verliert. Durch einen kleinen Fehler. So einen kleinen Fehler, wie die rosa Brille abzusetzen, oder einen heißen Tropfen Kerzenwachs auf seine Haut fallen zu lassen. Amor haut ab, der Prinz entschwindet. Es ist ein Hammer, dass er wegen so einer Kleinigkeit abzischt. Die Prinzessin macht sich auf die Suche. Sie sagt nicht, das ist mir jetzt zu blöd, ich such mir einen neuen Prinzen. Nein, sie mag ihn ja im Grunde ihres Herzens. Und dann muss sie wandern, weit und lang und dabei sieben eiserne Schuhsohlen ablaufen. Weit, weit, einen grauen Berg hinauf, endlos zieht sich der Hang, jeder Schritt ist mühsam. Es staubt, und nirgends Schatten. Sie kommt zu einem kleinen Haus. Da wohnt Mond. 

"Mond, weißt du wo mein Liebster ist. Hast du ihn gesehen?"

Mond weiß es nicht, hat den Prinzen nicht gesehen, obwohl Mond jede Nacht am Himmel steht.

Johann bringt's im Bett nicht. Aber das ist nicht seine Schuld. Ursula ist nämlich aus dem Schlafzimmer ausgezogen. Da kann er's gar nicht bringen. Nein, Mond hat den Liebsten nicht gesehen.

Weiter zur Sonne. Weit, weit, weit. Die eisernen Sohlen klappern dünn. Abends kommt die Sonne müde in ihr kleines Haus. Die Prinzessin sitzt schon davor und zwickt die Augen zusammen.

"Sonne, hast du meinen Liebsten gesehen? Weißt du, wo er ist?"

"Nein", sagt Sonne schlicht. Sie hat ihn tagsüber nicht gesehen.

Ursula kann Johann nicht mehr sehen. Wie er schon ausschaut! Wie er rumschleicht und stöhnt, bloss keinen Schritt zuviel. Wie leicht er sich alles macht. Zum Beispiel das Abspülen. Überall klebt noch was dran. Kein Topf, keine Tasse sind richtig sauber. So ein stinkfauler, kommoder Kerl!

Nein, Sonne kann ihn auch nicht finden. Die Prinzessin ist verzweifelt. Nachts ist er nicht zu finden, tags ist er nicht zu finden. Wo kann der Prinz nur sein, wenn Mond und Sonne ihn nicht gesehen haben. Gibt's denn noch was?

Sonne tröstet: "Ja, da ist unser Bruder, der Wind. Wart's ab, bis Wind nachhause kommt."

Und jetzt kommt Bewegung in die Geschichte. Wind weiß wo der Prinz zu finden ist. Wind weht, Wind bewegt, frischen Wind braucht die Geschichte.  Der Wind bläst, hui untern Rock der Prinzessin und trägt sie übers Meer, bis zu der Insel, zu dem winzigen Fleck Erde, auf dem der Prinz ist. Liegt da auf seiner faulen Haut und fühlt sich furchtbar verlassen.

"Wo warst du denn so lange?" fragt Johann. 

"Spinnst du?", sagt Ursula. "Sieben eiserne Sohlen hab ich mir abgelaufen, bis ich dich gefunden habe."

"Ach geh", sagt Johann, "du trägst doch Turnschuhe, oder?"

"Du hast schon wieder recht", sagt Ursula lächelnd und legt die Karten auf den Tisch. - Das war an einem Freitagabend, und es hat einen Schlag getan von Johanns Faust, wie er den roten Buben auf die schwarze Dame gelegt hat. - Patience!

 

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