Ferien für Prinzessin Lilli

 

 

„Papa“, fragte Prinzessin Lilli eines Tages ihren Vater. „Haben Prinzessinnen eigentlich auch Ferien?“

„Nicht dass ich wüßte, liebes Kind“, antwortete der König.

Die Königin hatte als Kind nie Ferien gehabt. „Prinzessinnen brauchen keine Ferien“, sagte sie streng.

Der König räusperte sich: „Ferien sind nur etwas für ganz gewöhnliche Leute, weißt du.“

„Aber ich will auch Ferien haben“, sagte Lilli und stampfte mit dem Fuß. Und wenn die Prinzessin etwas haben wollte, dann bekam sie es auch. „Sogar Pony-Peter hat manchmal Ferien“, rief sie.

„Pony-Peter?“, fragte die Königin mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Das ist der Stalljunge, der mein Pony füttert“, erklärte Prinzessin Lilli.

„Ein Stalljunge ist kein Umgang für eine Prinzessin“, sagte die Königin streng.

Aber Pony-Peter wußte, wo man Ferien machen konnte, und zwar auf dem Bauernhof seiner Eltern.

„Ich will auch Ferien auf dem Bauernhof“, rief Prinzessin Lilli und stampfte wieder mit dem Fuß auf den Marmorfußboden, dass es knallte.

Da seufzten König und Königin und erfüllten Prinzessin Lillis Wunsch. Sie fuhren mit ihr und Pony-Peter aufs Land. Auf dem Bauernhof bekamen sie ein großes Zimmer mit Balkon und Blick auf Wiesen, Wälder und Berge.

Spät am anderen Morgen frühstückten sie auf dem Balkon.

„Diese Eier sind köstlich“, seufzte der König zufrieden.

„Die habe ich gefunden“, strahlte Prinzessin Lilli. „Pony-Peter musste mir heute früh alles zu zeigen. In einem Häuschen lagen Eier in so Nestern herum. Ich habe sie in einen Korb gelegt und Pony-Peter befohlen, sie zu kochen.“

Die Königin staunte: „Na, sowas!“

Es gab noch mehr zum Staunen: die Milch kam aus den Kühen und nicht aus dem Kühlschrank. Das Futter für die Tiere war getrocknetem Gras. Aber das Seltsamste war, dass niemand Prinzessin Lillis Befehle und Wünsche erfüllen wollte.

Der Bauer winkte Lilli zwar freundlich zu, aber er hörte sie nicht, wenn er mit seinem Traktor aus dem Hof und auf die Felder ratterte.

Die Bäuerin hetzte vom Stall in die Küche, machte die Betten in den Gästezimmern und hatte einfach keine Zeit für Lilli.

Pony-Peter verschwand immer, wenn Lilli in der Nähe war.

Gut, es gab es Karl, den alte Hofhund. Er lag friedlich in seiner Hütte. Aber Lilli konnte ihm befehlen, was sie wollte, Karl wedelte nur freundlich mit dem Schwanz, schnappte nach einer Fliege und schnarchte weiter.

Es war langweilig, es war öde. Prinzessin Lilli wollte sich bei ihren Eltern beschweren, aber der König und die Königin waren zum Wandern gegangen.

Jetzt bin ich ganz allein und niemand kümmert sich um mich, dachte die Prinzessin. Wenn mir jetzt etwas passiert, sind sie selber schuld. Lilli stolperte missmutig herum, bis sie in einer Ecke des Stalls eine kleine, seltsame Tür entdeckte. Sie klemmte, aber Lilli zog mit aller Kraft, da öffnete sie sich einen Spalt, und die Prinzessin schlüpfte hindurch. Zuerst war alles dunkel, aber dann gewöhnten sich ihre Augen an das Dämmerlicht. Ein Berg von grauen Rüben türmte sich vor Lilli auf und dahinter – ihr blieb fast das Herz stehen – stand ein Monster. Ein Ungetüm mit einem eisernen Bauch und einem Schlund, in dem sich gebogene Messerklingen verbargen.

Plötzlich quietschte die Tür und eine alte Hexe schlüpfte herein. „Was tust du in der Rübenkammer?“, krächzte sie.

Lilli drückte sich an die Wand. „Nichts“, flüsterte sie entsetzt.

„Du bist wohl ein Ferienkind“, stellte die Hexe fest.

„Nein, ich bin eine Prinzessin“, sagte Lilli tapfer. „Und du? Bist du eine Hexe?“

„Da ist was dran“, kicherte die alte Frau. „Aber in Wirklichkeit bin ich Peters Oma.“

„Glaub ich nicht“, sagte Lilli. „Und jetzt musst du etwas für mich zaubern.“

„So, so, muss ich“, sagte die Hexe. „Wie wär’s denn mit ‚Bitte‘?“

„Bitte?“, fragte Prinzessin Lilli verwundert.

„Bitte, hilf mir mal beim Rüben schnitzeln“, sagte Peters Oma. „Dreh mal an der Kurbel, bitte!“

Es stellte sich heraus, dass das Monster eine alte Rübenschnitzelmaschine war. Peters Oma warf eine Rübe nach der anderen in den Messerschlund, und Lilli drehte begeistert an der Kurbel. Da flogen die Schnitzel nur so in den Kübel darunter. Anschließend fütterten sie gemeinsam die Schweine. Die grunzten laut und schmatzten ganz ungeniert.

„Und jetzt wird gehext“, rief Lilli. „Bitte!“

Aber irgendwie kam Peters Oma nicht zum Hexen. Trotzdem war es nie mehr langweilig und öde. Lilli und die alte Frau zogen miteinander in den Wald zum Pilze sammeln. Sie kochten Suppe, pflückten Äpfel und backten Apfelkuchen. Sie putzen den Hühnerstall, sammelten Tannenzapfen, hackten Holz und beugten es auf. Sie jäteten im Garten Unkraut, gruben Kartoffeln aus und kochten sie für die Schweine.

Lillis Eltern wunderten sich sehr. „Das ist doch nichts für eine Prinzessin“, sage die Königin streng. 

Der König räusperte sich: „Es kann nicht schaden, wenn Lilli das Leben der gewöhnlichen Leute kennen lernt.“

Und Peter? Der zeigte sich wieder und ließ Lilli sogar auf einem seiner großen Pferde reiten.

Als die Ferien zu Ende gingen, wollte die Prinzessin nicht aufs Schloss zurück. Sie wollte auf dem Bauernhof bleiben. „Bitte, bitte!“

Da schenkte ihr Peters Oma ein kleines schwarzes Kätzchen mit weißen Pfoten. „Das darfst du mit nach Hause nehmen“, lächelte sie. „Und in den nächsten Ferien kommst du wieder.“

Lilli umarmte die alte Frau und flüsterte ihr ins Ohr: „Ja, ich komme wieder. Danke, liebe Hexe!“

 

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