Rare Sachen

 

Wenn die Tant Resi die Betten gemacht hat, die Betten von Vatter und Muatter, bin ich manchmal reingewitscht ins urgroßelterliche Schlafzimmer. Da war das Doppelbett im dunkelbraun gestrichenem hölzernen Kasten mit den dreiteiligen Rosshaarmatrazen zum Lüften aufgestellt, zusammen mit den Kopfpolsterkeilen. Drüber locker die Plumeaus und Paradekissen. Das Fenster ist offen. Die Schwalben kreischen, der Morgenwind weht die hellen Vorhänge zur Seite. Man schaut auf den Garten der Oma mit den Stachelbeerbäumchen am Rand, dahinter das Birnbaumspalier an der Hauswand vom Nachbarn. Es ist Sommer.

Die Tür zum Wohnzimmer steht offen, es soll ja durchziehen. Damit es das Fenster nicht zuhaut, klemmt eine Muschel zwischen Flügel und Rahmen, eine Kaurimuschel, oben gefleckt und unten mit einem gezähnten Schlitz. 

Die Tant Resi hat wenig Geduld mit der Fünfj.ährigen. Sie geht ihr im Weg um und soll nichts anlangen. Und eine Ruh geben. Schau, dass’d weiter kummst!

Es ist also schon was Besonderes, wenn man die Muschel in die Hand nehmen darf. So rar und von weit her. Und wenn man sie ans Ohr hält, die Muschel, hört man drin das Meer rauschen, den indischen Ozean. So weit weg. Und jetzt tu’s wieder schön hinlegen! Und raus mit dir!

Die Betten sind gemacht, das Leintuch glatt und stramm in den Bettkasten gesteckt, die Paradekissen schön aufgeschüttelt und glatt geklopft. Das weinrote Inlet schaut durch die Lochstickerei mit Blumen und Girlanden. Links und rechts stehen die Nachtkastl mit Zierdeckerl aus cremfarbener, gehäkelter Spitze. Der Waschtisch mit Schüssel, Krug und Seifenschale ist wieder sauber gewischt. Ein Teil ihrer täglichen Pflichten ist erledigt.

 

Im urgroßelterlichen Wohnzimmer steht der Hausalter. Geschnitzt, bemalt, barock mit Säulen und vergoldeten Roncaillen. Es gibt einen kleinen Tabernakel mit Türchen zum Aufmachen, in dem steht eine kleine Monstranz. Es gab auch einen Kelch mit Brotschale- Mein Opa, der erste und einzige Sohn unter fünf Schwestern, durfte damit spielen, Ministrant spielen. 

Nur wenn ich mit dem Opa vor dem Altar stand, durfte ich ihn anlangen. Dinge berühren dürfen, war nicht selbstverständlich. Das Tabernakeltürl aufmachen und die Monstranz anfassen, sowas darf in echt nur der Stadtpfarrer von Mariä Himmelfahrt tun, mit goldenem Rauchmantel bekleidet, oder einer seiner Kaplane. Mannsbilder. Der Herr Jesus in der weißen Scheibe in der Monstranz, das war sein Leib. Und sein Blut war im Kelch, hoch gehoben mit dem Rücken zum Volk, begleitet vom Kingeln der Ministrantenglöckchen, wie im Zirkus, um die Spannung zu erhöhen. Und tief sanken alle in die Knie. Heilig, heilig, heilig! Danach aß und trank der Priester, aber heimlich, mit abgewandten Rücken. Ein Brösel der Hostie wenn verloren gegangen wäre, schlimm. Ein Gottesbrösel, sakra. Alles war sehr heilig.

 

Jetzt hinaus ins Freie, vor das Kollmußhaus, in den vorderen Garten, wo die weißen Nagerl der Urgroßmutter blühen und die Buchsbaumhecke den Bach abschirmt, den Simmetsbach, genannt nach seinem Erbauer, dem Ingenieur Simmets. Das Bachrauschen gehört zum Kollmußhaus. Die Straße ist nicht geteert, sie führt an ein paar Bauernhäusern vorbei. Mit pudrigem weißen Staub in der Hitze oder satte, dunkle Drecklachen, wenns geregnet hat. Die Deglergasse führt rechterhand zum Gögerl, linkerhand zum Schulgasserl und am Krankenhaus vorbei, danach über die gefährliche Olympiastrass hinüber, durch ein Tor ins Schmidgasserl und dann war man im Herzen von Weilheim am Marienplatz mit der Stadtpfarrkirche und ihrer Grünspankupfernen Haube. Innen weißgoldener Stuck von den Wessobrunnern, frühes Barock, fast ein bisserl streng. Heilig, heilig, großmächtig und prächtig. Jeden Sonntag um halbneun das Amt, um zehn die Kindermess. Im Amt singt die Tant Resi im Chor (50 Jahre lang). Die Königsmesse von Mozart mit Pauken und Trompeten. Dabei ist es mir über den Rücken gerieselt. Gebraust hat die Orgel. Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke. Sakra. Wir waren schon wer. Mit so einem Mittelpunkt, mit dem heiligen Geist über allem an Pfingsten, den Palmesel in der Karwoch, das Heilige Grab mit den bunten Öllichtern und mit dem Kripperl, einer riesigen Landschaft zwischen zwei Seitenältären. Mit ölgemalten Hintergrund und Palmen im Heiligen Land.

 

Der Opa war auch im Heiligen Land gewesen, im 1. Krieg als Funker. Er hat der Oma ein Mocca-Service mitgebracht. In Gold und Weiß mit Sternen und tiefem Blau. Es stand in der Vitrine im oberen Wohnzimmer, und ich durfte es manchmal anlangen. Aber aufpassen! (Es gibt heute noch ein Tasserl, es ist Salz drin und steht auf meinem Küchentisch).

Die kostbaren, die raren Sachen wie das lederne Fotoalbum, durfte man nur mit gewaschenen, saubernen Fingern anzufassen. Auch der Stickrahmen, das Klöppelkissen, die Häkelgabel, alles im Nähschrankerl meiner Großmutter. Sie haben sich lang vor meiner Geburt reihum zum Handarbeiten in der Nachbarschaft zusammengesetzt. Es war ihre Unterhaltung. Ja, so hätt ich es auch gerne. Ohne die Vereinzellung durch die Fernseher.

Der Krauthobel ging auch reihum, vom Königsbauer zum Reiser, mehr Nachbarsnamen weiß ich nicht mehr. Das war wiegesagt lang vor meiner Zeit, die Oma hat mir davon erzählt. Die Nachbarn kamen dann auch zum Fernsehen ins obere Wohnzimmer. Am Samstag gab’s dann zu meiner Kinderzeit Peter Frankenfeld in seinem großkarriertem Sacko in schwarzweiß. Da saßen sie alle auf den Wiener Barrockstühlen und auf den dazugestellten Küchenhockern und es war eine riesige Gaudi. Bis auf die Bigbänd, wenn die so laut und jazzig spielte, das mochten sie nicht. Es tat weh in den Ohren. Ja, der Peter Frankenfeld war toll. Aber es dauerte nicht mehr lange, da hatten sich die Nachbarn auch Fernseher angeschafft, beim Opa unten im Laden, und blieben zum Fernsehschaun daheim. 

 

Ich hätt gerne ewig in Weilheim weiter gewohnt, aber wir zogen nach München und ich wurde groß. Doch der Indische Ozean rauscht immer noch in der Muschel.

 

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