Die Zwiebelchen der Herzogin

 

 

Paulas Küchenfee hat einen guten Riecher. Wieder mal ist sie rechtzeitig eingeflogen. Es duftet so gut. Fragend schaut sie Paula an.

„Vincent van Goghs Hühnerbeine“, murmelt Paula.

„Aha“, sagt die Fee. „Und an was erinnern sie dich?“

„An die Provence“, brummt Paula. „Schon länger her.“ Und verstummt. 

„Was war los in der Provence?, fragt die Küchenfee. „Da schwärmen doch viele davon.“

„Es war traurig“, rückt Paula raus. „Trist. Allein schon das Haus des deutschen Ehepaars, ein grau verputzter Kasten zwischen Obstplantagen. Und alles drumherum flach, brettleben. Den Hals hab ich mir ausgerenkt, aber sehen konnte man nur bis zum nächsten Zaun aus Zypressen oder Schilf, der den Wind abhalten sollte. Den Mistral, wenn er vom Meer kam, sandig von der Sahara und rauchig von den Bränden an der Küste. Eingesperrt bin ich mir vorgekommen. Und weil mir die andern bereits nach ein paar Ferientagen auf die Nerven gegangen sind, hab ich mich jeden Morgen nach dem Frühstück mit dem Zeichenblock verdrückt und die Apfel- und Pfirsichbäume gezeichnet. Und das Schilf und die Zypressen. Wie Vincent von Gogh. Der hat auch in dieser Gegend gemalt.“

„Der war verrückt“, sagt die Küchenfee.

„Da hast du recht“, meint Paula. „Wir waren alle verrückt. Gaga, plemplem und unglücklich. Aber sehr vornehm und französisch. Ich nicht. Die Andern.“

 

Eine echte Herzogin war dabei, eine verarmte Duchesse. Nur die Manieren waren ihr geblieben, dieser älteren, kleinen, runden Madame, die sich für unwiderstehlich hielt. Sie fand alles, was auf den Tisch kam, merveilleux. Und tres, tres bon.

„Da hab ich was gelernt“, sagt Paula.

„Französisch?“, fragt die Fee.

„Mä wui. Und dass ich es partu nicht hinkrieg. Ich komm mir schon beim Hochdeutsch sprechen komisch vor. Und erst recht beim Französischen.“ Paulas Zunge weigert sich ‚Schö swie ün famm bavaroase‘ zu sagen. Sie kommt sich dabei blöd vor, ihre bayerische Zunge.

 

Der schöne Musikdirektor eines belgischen Provinztheaters, servierte vor dem Essen den Aperitif. Auf dem Tablett standen Weißwein und Cassis, der schwarze Johannisbeerlikör, der Hit der Saison. Dazu ein Kübelchen mit Eis , Zange und Gläsern. Der Musikdirektor mixte die Drinks nach unseren Angaben. Wir waren vier Frauen und er der einzige Mann. Leider für die Damenwelt nicht mehr verfügbar, nur noch für seinesgleichen seit Beginn des Urlaubs, pas de tout! Das hatte der Herzogin, die gerne mit ihm verreist war, das Herz gebrochen.

Auch Ritas Herz war wund und das von Carla, der Hausherrin. Beide waren Psychoanalytiker-Gattinnen und sie hatten sich von ihren Männern nach Jahren der Krise erst kürzlich getrennt. Rita und Carla waren in Leid und Vokabular der Psychoszene vereint.

Nun ja, bald stellte sich heraus, dass Carla auf das vornehme Getue der Herzogin süchtig geworden war. Rita nahm nur noch den zweiten Platz ein. Und Carla kochte toujours und merveilleux. Das wurde Paula zu blöd. Sie wollte auch mal was kochen. Man einigte sich, am kommenden Sonntag ein Menü zu machen, zu dem jede ihr Teil beitragen wollte. Nur der schöne Musikdirektor würde wie immer für die Aperitifs sorgen.

 

Am Sonntag war es heiß, heiß, 40 ˚ im Schatten der großen Platane im Garten. Die Frauen gingen einander in der Küche im Weg um, blieben an den Kräutern der Provence, die in Büscheln von der Decke baumelten, hängen. Dazwischen befanden sich Koch- und Schöpflöffel, Siebe, Seiher, Stieltöpfe und Reiben. Die Herzogin thronte am Tisch. Die Küche war heiß wie die Hölle. Carlas blaues Perserkatzenpaar, das ebenfalls verrückt war, traute sich nicht aus dem Haus. Dauernd stolperte man über sie zwischen Küche und Flur.

Die Tafel war unter der Platane aufgebaut. Gedeckt für zehn, man hatte dazu noch Gäste eingeladen. Van Goghs Sonne rollte mörderisch über die verdorrte Wiese mit dem bleichen, stacheligen Unkraut. Zikaden schrillten in der Mittagsstille und verzückt gekrümmte Zypressen rahmten das Bild. Paula war den Tränen nah. Wie sollte sie das durchstehen?

 

„Sie kocht begnadet“, hatte die Hausfrau gehaucht und damit die die Herzogin gemeint. „Merveilleux.“ Die Herzogin bereitete Zwiebelchen in Sauternes zu, ach was, sie zelebrierte sie. Sie trug heute keinen Nagellack, und ihre langen Nägel waren zwiebelschalenbraun. Paula hatte null Ahnung von Sauternes, einem süßen Wein mit hohem Status. Dazu kam Essig.

„Du magst doch keinen Essig riechen“, fällt der Küchenfee ein.

Paula fühlt sich verstanden, lächelt ihrer Fee zu und sagt, dass sie auch keine gekochten Zwiebeln mag, auch wenn sie die kleinen, hübschen, flachen sind.

Sie und Rita sollten für den Fleischgang sorgen. Paula hätte am liebsten einen Schweinsbraten gemacht, aber für den war es zu heiß. Sie fuhren am Samstag nach St. Remis, das nicht weit weg war, um Hühnerhaxl zu besorgen. Sie wollten sie auf ein Blech legen, mit Öl, Knoblauch und Rosmarin, mediterranen und bäuerlich schlicht.

 „Nachdem wir die Haxl besorgt hatten“, erzählt Paula, „haben Rita und ich in einem Straßencafé eine Lemon pressé getrunken.“

„Wie geht das?“, fragt die Küchenfee.

„Ganz einfach. Du presst eine Zitrone in ein Glas, gibst eiskaltes Wasser dazu und soviel Zucker wie du magst und rührst mit einem langen Löffel um.“

An einem Postkartenständer entdeckte Paula, dass Vincent van Gogh ganz in der Nähe im Irrenhaus gewesen war. Sie schauten vorbei. Hinter dem schwarzen, schmiedeeisernem Gitter wuchsen blaue Iris und hohe Kiefern, genau wie auf den Postkarten. Paula schluckte. Es war ja so leicht, verrückt zu werden, und so schwer, gut zu malen.

 

Die Gäste trafen ein. Sie hatten ein feines Gespür für die gestörte Idylle, jedoch den festen Willen, sich ihren Urlaub nicht verderben zu lassen. Nach dem Aperitif nahmen alle Platz. Rita meinte, alle sollten sich an den Händen fassen, es gäbe da so ein entzückendes Tischgebet, das ihr Sohn aus dem Kindergarten nach Hause gebracht hätte. „Piep, piep, piep. Wir ham uns alle lieb. Guten Appetit!“

Ein paar Sekunden hörte man nur die sirrende, knisternde Mittagshitze, dann ein Prusten und Kichern, das sich zum lauten Gelächter und fröhlich-hysterischem Kreischen steigerte. Piep, piep, piep. Wir ham uns alle lieb! Ja, genau so. Und die Zwiebelchen der Herzogin waren merveilleux.

 

Vincent van Goghs Hühnerbeine

Paula gießt großzügig gutes Olivenöl auf ein Blech, streut gut Salz darüber und tröpfelt den Saft einer Zitrone dazu. Darin wälzt sie die Hühnerhaxl und legt Knoblauchscheibchen und Rosmarinzweige dazwischen. Die sehen nach dem Braten wie kleine, gewundene Zypressen aus. Sie garniert mit Zitronenscheiben, die an Van Goghs rollende Sonnen erinnern.

 

So machte die Herzogin ihre Zwiebelchen:

 

Sie putzte geduldig 1 1/2 Pfund kleine, flache Zwiebeln. Schmolz 100 g Zucker hellbraun und glasierte sie darin. Löschte ab mit 1/4 l Rotweinessig und 1/4 l Sauternes (Man dafür auch Portwein und Madeira nehmen) und ließ alles köcheln, bis sich der Zucker gelöst hatte. Jetzt kamen die Gewürze dazu: Rosmarin- und Thymianzweiglein, 1 Dutzend Pfefferkörner, etliche Lorbeerblätter und Salz. Eine Zeit lang ließ sie alles mit geschlossenem Deckel sehr leise kochen, dann offen, um die Flüssigkeit zu reduzieren. Sie fischte die Kräuter raus und fertig war ihr wunderbares Gericht.

 

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