Frau Marias Sulz

 

 

„Mach dich dünn“, sagt Paula zu ihrer Küchenfee. „Geh mir aus dem Weg!“

„Du bist heut aber nicht gut drauf“, stellt die Fee fest. Folgsam schnurrt sie zu Nippesgröße zusammen. 

„Weil’s wahr ist“, knurrt Paula. „Mir geht heute mein Einpersonenhaushalt in dieser kleinen Küche auf die Nerven, Ober- und Unterschränke, alles so genormt. Du hast ja keine Ahnung, wie eine Küche sein kann. Die von der Frau Maria zum Beispiel.

„Erzähl!“, sagt die Küchenfee, schwirrt aufs Gewürzregal und macht sich’s zwischen Piment und Lorbeer bequem.

„Sie war groß.“ Paula schätzt die Küche in dem Schwabinger Altbau der Gründerzeit  auf fast 30 qm, mit Balkon und Speis nach Norden und den weißlackierten Küchenmöbeln: zwei Anrichten, ein großer Küchenkasten mit Aufsatz und in der Mitte der Tisch, an dem Frau Maria die gußeiserne Fleischmaschine anschraubte. Sie machte grad eine Sulz.

Auf dem Herd mit dem Messingumlauf, an dem die Topflappen hingen, stand der große blauweiß gesprenkelte Emailhafen. Dort köchelten seit Stunden Schweins- und Kälberfüße mit Wasser, Essig, Suppengrün und Lorbeerblatt. 

„Und mit ein paar Körndl Piment, früher Almodekörner, auch Neugewürz genannt“, sagt Paula. „Hast du das gewußt?“

„Nein“, sagt die, „aber jetzt weiß ich es. Hat deine Frau Maria für eine große Familie gekocht?“

„Nein“, sagt Paula. „Nur für eine einzige Person, für Frau Groß. Sie war eine Dame und dünn, schon 91 und seit Jahrzehnten Oberregierungsratwitwe. Geduldig saß sie tagsüber in ihrem Sessel im Esszimmer, das altdeutsch eingerichtet war. Neben dem Tisch mit den sechs steillehnigen, steifen Stühlen stand ein schwarzes Schrankungetüm mit gedrechselten Säulchen und geschnitzten Eichenblattverzierungen. In ihm waren das Silber, das Porzellanservice und die Tischwäsche untergebracht, ebenso leinene Servietten mit Lochstickerei in ihren filigranen Serviettenringen. Auf der Anrichte, heut sagt man side-board, standen das Salz und Pfeffer Service aus Bergkristall mit Silberfassung, Zeugen einer großbürgerlichen Lebensart. Es fehlte auch nicht die Nelke mit Asparagus als Zimmerschmuck. Und das Lesetischchen mit der pergamentbespannten Stehlampe.

Frau Gross, die Gnä‘ Frau, wurde von ihrer Haushälterin, Frau Maria, ein Leben lang versorgt. Obwohl sie sich auf ihren Platz im Traunreuther Altersheim freute, konnte sie doch die Gnä‘ Frau nicht allein lassen. Frau Maria war bereits 76 und hätte gerne das Arbeiten sein lassen. Und noch einen geruhsamen Lebensabend gehabt.

„Und, hat sie?“, fragt die Küchenfee.

„Wie man‘s nimmt“, antwortet Paula. „Frau Groß hat noch vier Jahre gelebt, sie wurde 96. Frau Maria konnte also erst mit 80 in den Ruhestand. Sie hat ihn ein Jahr lang gehabt, dann ist auch sie gestorben. Ich denke, sie hat ihren Schwabinger Haushalt vermisst und das Anschaffen können. Nach der Frau Groß ist nämlich gleich sie gekommen, dann erst die Zugehfrau aus Giesing. Sie kam seit Jahrzehnten zum Wäschemachen und Putzen in die 6-Zimmerwohnung. Drei der Zimmer waren an Studenten untervermietet. Einer war männlich, ein Zimmerherr, dem es gestattet war, Oboe zu üben. Und zwei Zimmerfräulein. „Eins davon war  ich“, sagt Paula stolz.

Sie hat damals tagsüber studiert und abends gearbeitet. So konnte sie sich ein Zimmer leisten und dem väterlichen Druck und der mütterlichen Weltordnung entkommen. Es war die antiautoritäre Zeit. „Ich war frei und unabhängig, juhu!“ Paulas Bekannte aus dem Tschibo machten derweil revolutionären Krawall auf  der Leopoldstraße. Im Tschibo an der Ecke Leopold/Hohenzollernstraße, kostete eine Tasse Kaffee dreissig Pfennig und das Pfund Bohnenkaffee wurde in so einer rechteckigen, durchsichtigen Dose verkauft. Alle Hausfrauen waren scharf darauf, man konnte die Vorräte darin so schön und sichtbar stapeln.

„Und die Sulz?“, will die Küchenfee wissen.

„Ja, die Sulz“, sagt Paula. „Frau Groß aß sie gerne, aber sie konnte nicht mehr recht beißen. Deshalb löste Frau Maria das Fleisch und die Schwarten von den Knöcherln und trieb sie durch die Fleischmaschin. Danach füllte sie die Masse in eine Tschibo-Dose, goß die Brühe durch ein Sieb dazu und stellte sie in die Speis vor das Fenster mit dem Fliegengitter, damit sie gelierte. Danach wurde die Sulz gestürzt, eine Scheibe abgeschnitten und, mit einem Gurkerl garniert, der Gnä‘ Frau serviert.“

Die Küchenfee schluckt. Das Wasser ist ihr im Mund zusammengelaufen.  „Und wie hat sie geschmeckt?“

„Du bist gut“, sagt Paula. „Es hat sich nicht gehört, dass man ein Zimmerfräulein mitessen läßt.“

Es gab noch eine feste Rangordnung und viele Autoritäten, gegen die gerade auf der Straße protestiert wurde. Paula jedoch war vom Gediegenen, dem sich Gehörigen, auch von der Regelmäßigkeit  des großbürgerlichen Haushalts der Frau Maria fasziniert. Sie hatte sogar einen Wochenspeiseplan. Eine legierte Karviolsuppe zum Beispiel und eingemachtes Kalbfleisch mit breiten Nudeln und grünem Salat gab es nur sonntags. Da trug Frau Maria auch ihr seidenes Sonntagskleid unter ihrer gedeckten Kittelschürze. Das feine weiße Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten und zum Knoten gewunden. Und immer lugten ein paar schwarze Haarnadeln heraus, bis sie dezent klirrend auf das Linoleum der Küche fielen.

„Die Sulz hab ich schon gekriegt“, sagt Paula und grinst. „Nie bin ich einfach so in ihre Küch gerumpelt, in ihr Hoheitsgebiet geplatzt. Sondern bin brav auf der Schwelle stehengeblieben und hab am Türrahmen geklopft. ‚Frau Maria, hoffentlich stör ich nicht‘. Nein, ich hab sie nicht gestört. Dann hab ich die Sulz bewundert. Alle anderen Gerichte auch. Da hat sie mir immer ein Probiererl gegeben.“

„Und wo ist jetzt deine Sulz?“, fragt Paulas Küchenfee, die während der Geschichte Lust darauf gekriegt hat.

„Nirgends“, sagt Paula. „Ich kann keine Sulz machen, wegen dem ..., du weißt schon.“

„Essig“, fällt der Fee ein. „Du kannst ja keinen Essig riechen, wenn er kocht.“ Enttäuscht will sie verschwinden.

„Bleib da!“, ruft Paula und macht den Kühlschrank auf. „Ich hab eine gekauft.“ Die gemeinsame Schmauserei ist gerettet. Aber die Sulz selber ist klar und geschmacklos. „Packerlaspik pur“, stöhnt Paula.

 

Vinagrette:

An kalten Essig traut sich Paula ran. Sie verdünnt  ein paar EL mit dreimal soviel Wasser und rundet mit einem Spritzer Maggi ab. (Es darf auch Sojasauce sein.) Die Fee hat inzwischen ein paar Schalotten fein geschnitten und gibt sie zum Essigwasser. Zum Schluss stäubt Paula getrockneten Chilli drüber, wenn sie keinen frischen hat, dessen rote Ringerl so gut ausschauen und so lebhaft schmecken. Mit einem Löffel tröpfelt sich eine jede von der Vinagrette über das gesalzene und gepfefferte Knöcherlsulzfleisch. Mmh!

 

Danach ist Paulas Grant vergangen und ihre Küche hat auch wieder die richtige Größe. Passt schon.

 

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