Menue á la Jungfrau von Orleans

 

„Es war in den 80ern, und Annick war keine Jungfrau mehr“, erzählt Paula ihrer Küchenfee. „Aber wieder frei. Und hat einen Bauernhof geerbt gehabt, bei Orleans in Frankreich. Die Annick war, wie die echte Jungfrau, von bäuerlicher Herkunft, klein und zäh, mit schwarzen Augen und so kurz gelockten Haaren. Sie hat damals Deutsch und Politologie in München studiert und war überzeugt, dass sie vierundachzig Hektar Land perfekt bewirtschaften kann. Der Bürgermeister hatte nur achzig und schlecht über Studentinnen geredet, die Bäuerin spielen wollten. Na, dem würde sie es zeigen. Ihr Hof war ein Kasten aus grauem Granit, vierkantig und verlassen. Er stand abseits vom Dorf allein auf der weiten, flachen Ebene von Orleans. Es war sehr still auf dem Hof. Nur der Wind blies und die Mauersegler schrillten durch das steinerne Geviert, in dem ein alter Pflug und anderes Maschinengeraffel vor sich hinrosteten.“

„Boff“, macht die Fee. Sie fühlt sich heute tres französisch. Das sei schließlich die Küchensprache, das Latein der Küchenfee-Zunft und überhaupt. „Mademoiselle Annick dich hat eingeladen, oui?“

Paula nickt. „Aber der Wind hat mich fertig gemacht. Es gab nur einen windstillen Ort, den Garten, der außerhalb des westlichen Hofteils lag. Hinter dem Gartenzaun sind sind die Ackerfurchen bis zum Horizont gerollt und drüber gigantische Walfischwolken gesegelt. Direkt vom Atlantik. Ich war baff“, sagt Paula, „weil mir gekommen ist, dass es dieselben sind, die ein paar Tage später bei uns über die Dächer treiben.“

„Tres interessant“, gähnt die Fee. „Und was gab‘s zum Essen?“

„Im Garten waren gerade die Reinetten reif und die Radieschen. Gelb und rot. Ja, man war dort nicht nur vorm Wind geschützt, sondern auch vor Annicks schlechter Laune.“

„Pourquoi?“, fragt die Fee.

„Ich war keine gute Gesellschafterin“, gibt Paula zu. „Ich hätte ihr beim Renovieren helfen sollen, den Gips auf den Wänden des Badezimmers glatt schleifen, seidenglatt. Das war mir auf Dauer zu staubig. Ich war doch nicht zum Arbeiten gekommen, sondern um Ferien zu machen. Und ich war untertags gerne allein. Ich dachte mir nämlich ein Theaterstück über Amor & Psyche aus. Und schleckte Reinetten und kaute Radieschen. Als mich Annick erwischte, wie ich das Kraut lässig in Richtung Komposthaufen warf, wurde sie zornig.

„Merde“, rief sie. „Damit macht man doch Suppe.“ 

„Das ist mir neu“, wundert sich Paulas Küchenfee. „Une nouvelle cuisine?“

„Ja, Radieschenblättersuppe, überraschend gut. Und so einfach. Wir haben sie in der riesigen, mit Steinplatten ausglegten Küche und den noch unvergipsten, alten braunen Wänden, gemacht.“

„Und was gab‘s danach?, fragt die Fee. „Et aprés? Jungfrauen-Schenkelchen?“

„Da verwechselst du was“, meint Paula. „Jungfrauen-Schenkel gibt’s bei den TürkInnen. Annick hat Flügel gemacht.“

„Von Engeln?“

„Nein, vom Rochen. Mit schwarzer Butter.“

„Beurre noir“, staunt die Fee.

„Sie ließ sie fast schwarz werden“, erinnert sich Paula. „Und goß einen Schuß Essig hinein. Das hat gestunken!“  Sie stöhnt. „Wo ich doch keinen Essig riechen kann. Aber geschmeckt hat es himmlisch zum gebratenen Rochenflügel. Ich hab sogar eine Vision gekriegt, hab den Fisch im Wasser fliegen sehen, über Sand und Tangwälder, langsam, wie ein schwarzer Engel des Meeres.“

„Uuh!“ Die Küchenfee schwebt sofort durch Paulas kleine Küche, flappt mit ihren Flügeln. „Schau, Paula!“ – und knallt gegen die Oberschränke. „Merde!“

„Sagt man nicht“, lächelt Paula und macht die Kühlschranktür auf. Sie hat keinen Rochen gekriegt, aber eine frische Scholle, und die macht sie jetzt á la Jungfrau von Orleans.“

 

Nachsatz: Paula hat 20 Jahre und fünf Fassungen gebraucht, bis das Theaterstück „Amor und Psyche“ fertig war. Annick hat auf 84 Hektar grüne Bohnen gebaut. Sie verkaufte die Ernte mit Gewinn. Aber es füllte sie nicht aus. Das tat nach zwei Jahren ein neuer Mann. Sie verpachtete den Hof und zog zu ihm nach Paris.

 

 

Radieschenkraut-Suppe

Paula nimmt für 1 Teller Suppe das gewaschene und geputzte Kraut von 2 Bund Radieschen, natürlich Bio, und läßt es im Topf mit 1 Finger hoch gesalzenem Wasser zusammenfallen. Das geht so schnell wie bei Spinat. Danach pürriert sie alles mit dem Zauberstab und gibt die grüne, dickflüßige Suppe in einen Teller. Jetzt kommt der Clou: Sie rührt einen ordentlichen Klecks Creme fraiche dazu. Ca ce tout, das ist alles, und schmeckt köstlich.

 

Scholle á la Jungfrau von Orlean

Paula pudert eine saubere Scholle mit Mehl und legt sie in eine Pfanne, in der 1 EL Öl schön heiß geworden ist. Salzt und wendet den platten Fisch, wenn er Farbe angenommen hat. Wieder salzen. Wenn Paula Kapern hat, tut sie jetzt ein paar dazu. Dann den Deckel drauf und die Hitze reduzieren! In einem zweiten Pfandl bräunt sie 50 g Butter sehr braun, zieht sie vom Feuer und gießt den Saft von 1 Zitrone rein, noch besser 1- 2 Limetten, weil die so eine feine Säure haben. Wie gesagt, Essig mag sie nicht so. (Nur beim Kartoffel- oder Wurstsalat, und da muss er mit einem Spritzer Maggi „gebrochen“ werden.)

 

Die Küchenfee hat den Teller vorgewärmt und Weißbrot geschnitten. Junge Kartoffeln sind natürlich auch gut. Und ein Glas kühler weißer Wein.

 

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