Paradies mit Topfenkaserl

 

 

„Ob die was werden?“, überlegt Paula.

„Was soll’s denn werden?“, fragt die Küchenfee, die grad auf dem Fensterbrett in Paulas Küche gelandet ist.

„Topfenkaserl“, sagt Paula. „So wie damals auf dem Lindnerhof.“

Die Küchenfee fragt nicht, Paula wird ihr schon alles erzählen, wenn es soweit ist. Jetzt grad mischt sie einen Bio-Schichtkäse – sündteuer, aber noch lebendig, der normale Quark wird schlecht – mit Salz, Pfeffer und Kümmel, dreht von der Masse tischtenniskleine Kugeln und setzt sie auf Holzbrettchen. „Wohin damit?“, fragt sie. „Die Lindnermutter hat eine kühle Speis gehabt, in der die Topfenkaserl gereift sind und jeden Tag umgedreht worden sind.“

„Probier’s halt mit dem Kühlschrank“, schlägt die Küchenfee vor.

„Ah, genau“, sagt Paula. „Mit dem geht’s ja auch.“

 

Ein Kühlschrank war damals, als Paula noch sehr klein war, nicht in der Küche des Lindnerhofs gestanden. Dafür ein gemauerter Herd, im Eck an den Fenstern entlang eine Bank, davor der Tisch mit dreibeinigen Stühlen und darüber hingen sirrende, gelbspiralige Fliegenfänger.

Paulas Eltern hatten im oberen Stock zwei Zimmer zugeteilt bekommen. Sie trennten den Gang mit einer Holzwand ab, daraus wurde die Küche, in der Paula der Mutter meistens im Weg umging. Sie war eh viel lieber drunten in der großen Bauernküche bei der alt‘ Frau Lindnermutter. Zur Brotzeit standen auf der Tischplatte Topfenkaserl und ein riesiger Laib Brot. Getrunken müssen sie auch was haben, aber Paula erinnert sich nicht daran. Vielleicht ein Bier für den Knecht und den alt‘ Lindnerbauern. Sonst waren „nur“ noch vier Töchter da. Der Josef, der einzige Bub und Erbe war mit neunzehn im Krieg geblieben. Deshalb trug die Lindnerbäurin immer ein schwarzes Gewand und schwarze Schürzen. Schwarzaugert war sie auch, ihr Haar aber wie Pfeffer und Salz. Im Mund fehlte ein Vorderzahn, da war eine schwarze Lücke. Aber sie lachte oft. Paula gefiel die Lücke. Sie lief ihr immer hinterher. Paula durfte überall dabei sein: Im Stall bei den Kühen, wenn die Lindnerbäurin und ihre Töchter molken, und die Milch in die Eimer spritze, der weiße Schaum stieg und die Kuhschwänze links und rechts auf die Fliegen klatschten, manchmal auch ins Gesicht einer Melkerin. Da wurde die Kuh angeschrien, namentlich. Über ihr stand nämlich mit Kreide auf einer Tafel geschrieben, wie sie hieß, die Kuh, Cilli oder Zenz, und wann sie geboren war. Alles war warm im Stall und roch so gut, auch das Stroh und der Mist. Auf einer Bank neben der Tür zum Flez standen die schweren, silbernen Milchkannen, auf einer thronte immer der Milchsieb mit dem Seihtuch. Aus einer der Kannen füllte die Lindnermutter unsere blaugrau emaillierte Milchkanne und stellte sie auf den Mehlkasten im Flez.

„Mhm“, schwärmt die Küchenfee. „Kuhwarme Milch.“

„Mich hättest du damit jagen können“, sagt Paula. „Aber mein Vater mochte sie. Er war noch nicht lange vom Krieg daheim.“ 

„Und selber?“, fragt die Küchenfee, „hat die Bäurin keine Milch gebraucht?“

„Doch“, sagt Paula. Im Sommer hat sie dutzende Weitlinge, braun glasierte Schüsseln, gefüllt und die Milch stöckeln lassen. Nachdem der Rahm abgeschöpft war, hat sie alles in einen Hafen am Herd geschüttet, lind erwärmt und gut gerührt. Wenn die Milch ausgeflockt war, hat sie alles in ein Mulltuch geschüttet, die an den vier Füßen eines umgedrehten Hockers angebunden war, drunter stand eine Schüssel, in die über Nacht das Milchwasser, die Molke,  abgetropft ist. Am andern Tag hat die alt‘ Frau Lindnermutter sie in den Saukübel geschüttet, den übrig gebliebenen Topfen mit Pfeffer, Salz und Kümmel gewürzt, durchgewalkt, zu Laiberl gedreht und, wiegesagt, auf Holzbretterl gesetzt und in die Speis getan.“

„So ein Arbeit“, sagt die Küchenfee.

Es gab auch sonst viel Arbeit auf dem Hof. In der Waschküche zum Beispiel, und nicht nur beim Waschen, auch beim Wursten, wenn geschlachtet worden ist. Paula erinnert sich, wie die Moni, die älteste Tochter der Lindnerbäurin, auch schwarzaugert und -haarig, aber von der finsteren Sorte, das schwarze Blut in einer Blechwanne gerührt hat. Wie ihre Schwestern den weißen Speck gewürfelt haben, den Petersil gewiegt, Pfeffertüten geleert und Salz dazu getan haben. Im Waschkessel simmerte derweil die Metzelsuppe, an der sich die kleine Paula jedes Jahr die Zunge verbrannte, garantiert, denn es schwamm viel Fett im Teller, ein einziges gelb glänzendes Auge.

Paula hörte das Quietschen der Rübenschnitzelmaschine, wenn die alt‘ Frau Lindnermutter das Schwungrad drehte. Paula durfte die Dotschen eingeben. Dann das aufgeregte Geschrei der Säue beim Füttern, dass eine jede ja was erwischt von der sauren Brüh mit den Dotschenschnitzeln, die in ihre Tröge schwappte. Gleich daneben war der Hühnerstall. Paula durfte auch ein paar Eier in ihrem Schürzerl tragen. „Aber ja nicht derdrucken!“

Es ging auf den Dehner, die Tenne, wo ein Haufen Grünfutter vor der Stalluke lang. Die alte Bäurin schob das Gras mit der Heugabel hinein, es fiel direkt vor die granitenen Tröge der Kühe. „Tu fei aufpassen, sonst fallst nunter, und na fressen dich d’Küh.“ Aber das glaubte die kleine Paula nicht und lachte bloß. Die Lindnermutter lachte auch, rauh und vergnügt, man sah ihre schwarze Zahnlücke. Danach stiegen die beiden die steilen Staffeln in die Holzleg hinunter, wo die Daxenbündel gestapelt waren, die alte Bäurin im Winter mit dem Krail, einem Haumesser, gemacht hatte. Da waren auch die größeren Scheiter und Trümmer vom Wurzelstöcken. Auf einem schiefen Hackstock hieb die Bäurin mit der Axt dünne Späne zum Anschüren. Auch da musste Paula wieder aufpassen, dass sie ihre Finger nicht dazwischenbrachte. Aber so dumm war sie nicht.

An diesem Ort drehte die alt‘ Frau Lindnermutter auch den Gänsen den Hals um. Dabei durfte Paula nicht zuschauen. Erst wieder, wenn sie gerupft wurden. Die Hühner auch, der dampfende Kübel, in dem sie gebrüht worden waren, nebenbei. Die Federn wurden später in dunkelrote Ziach gesteckt. Die wiederum in der Sonne ausgelüftet wurden oben auf dem hölzernen Umgang, auf dem auch die Wäsche aufgehängt wurde, nachdem sie drüberhalb der Straße im Stadtbach gespült worden war. 

„In echt?“, fragt die Küchenfee.

„In echt“, sagt Paula. „Ich war dabei und bin auch wieder gewarnt worden, dass ich aufpassen muss, weil, wenn ich hineinfall in den Bach, dann schwemmt‘s mich zur Mühle, die weiter unten den Stadtbach mit Getöse verschluckte. Und mich dann auch.

„Huh“, sagt die Küchenfee. „Was hat dir damals denn noch Angst eingejagt, der Hund?“

„Nein, der Ganter“, sagt Paula. Sie fürchtete den riesigen Ganter, der sie zischend und flügelschlagend über den Hof jagte, seine Gänse mit gestreckten Hälsen hinter ihm. Er war gefährlicher wie ein Hund. Den brauchte man nicht zu fürchten, man musste im Vorraum zwischen Küche und Holzleg nur beherzt über ihn steigen und ihn anblaffen wie eine Erwachsene: „Flack net so im Weg rum!“

Für die kleinen Gänse, die Guserln, brockte die Lindnerbäurin mit bloßen Händen junge Brennnesseln im hinteren Birngarten, wiegte sie mit Ei ganz fein, das mochten sie, das weiß-grün-gelbe Gemisch. Sie kamen auch in den Birngarten, wenn sie größer waren und manchmal ausbrachen, eine Schrecken verbreitende Horde auf dem Hof. Sie mussten mit weit ausgebreiteten Armen wieder hinter gescheucht und eingesperrt werden.

„Aber nicht von dir“, sagt die Küchenfee und lächelt.

Paula lächelt auch. „Ich glaub, vor Gänsen fürchte ich mich noch heute.“

Zum Fürchten war manchmal auch Paulas junger Vater. Er war vor ein paar Jahren vom Krieg heimgekommen und meinte, dass man parrieren müsse, wenn er was sagt. Nämlich, dass Paula kein Brot betteln darf. Die Eltern waren jung und wollten endlich was haben von ihrem Leben. Wenn sie ins Kino gegangen sind, und Paula aufgewacht war, fand sie sich im Finstern allein gelassen. ‚Aber heitschi-bumm-beitschi, schlaf lange, es is ja dei Mutter ausgange, sie is ja ausgange und kommt nimmer hoam, und lasst des kloa Büberl alloanigs dahoam‘, fiel ihr ein. Sie war zwar kein Büberl, aber vielleicht galt es auch für Mäderl. Die Mutter hatte es vorhin am Bett gesungen. Paula tapste tapfer, barfuß und im Nachthemd, die dunkle Stiege hinunter in die Küche, wo sie von der alt Frau Lindnermutter ein Stückl Brot mit Rinde bekam und sich hinten aufs Kanapee legen durfte. Vorn am Tisch saßen die Leut unter der Lampe, und sie lag zwischen den kissenbedeckten Sprungfedern eingehüllt im guten Stallgeruch. Denn der Bauer hielt seine Mittagsrast im Stallgewand auf dem Kanapee.

Es war die tröstlichste Speise, die Paula in ihrem Leben gekriegt hat, das Brot der alt‘ Frau Lindnermutter. Bloß, dass es dem Vater nicht gefiel, weil das Kind ihm nicht gefolgt hatte.

„Ah, da konnte er bös werden“, erinnert sich Paula. „Arg ungut.“

Das Brot haben sie auf dem Lindnerhof auch selber gemacht. Was für eine Schinderei, das Kneten im langen Trog. Gebacken wurde in der Waschküche, denn da stand auch ein Backofen. Oben auf dem Speicher unterm Gebälk lag in langen Reihen das Troad zwischen staubflimmernden Sonnenbahnen. Es wurde hinüber und herüber umgeschaufelt bis es trocken war, wieder in die rupfenen Säcke gefüllt und die zwei Stiegen auf dem Knechtsbuckel vom Franz runter geschleppt, einem Polen, der vom Krieg übrig geblieben war. Ohne den Franz wäre damals keine Männerarbeit getan worden: Er striegelte die Pferd, zwei schwere Rösser, schirrte sie vor einen Leiterwagen und fuhr Heu ein. Ein Traktor kam erst später. Den Stier führte er am Nasenring zur Kuh in den Stand, wo er ihn aufreiten ließ und die Kinder wegscheuchte. Die sollten sowas nicht sehen. Sie haben halt von der Weiten zugeschaut, mit einer gewissen Schenanz, aber erregt von der Gewalt des Geschehens.

„Und was war mit dem Bauern?“, will die Küchenfee wissen.

„Der alt‘ Lindnerbauer hat nicht mehr viel Kraft gehabt“, erinnert sich Paula. „Er ist in der Sonn neben dem Haus gesessen und hat Sensen gedengelt. Ja, das konnte er noch. Und vielleicht ein bißl mähen. Er hat sein Topfenkasl bedächtig gegessen und das Brot in Milch eingebrockt. Meistens ist er auf dem Kanapee gelegen und irgendwann nicht mehr. Ich hab ihn nicht vermisst. Er war ein grantiges Mannsbild.

„Es wird ihm halt vieles weh getan haben“, meint die Küchenfee.

„Kann schon sein“, brummt Paula. „Aber er hätte mich wenigstens anschauen und nicken können, wenn ich ihn gegrüßt hab.“

„Hat er nicht?“

„Nein, hat er nicht. Der hat mich übersehen, ich war ja bloß ein Dirndl. Davon hat er selber genug gehabt.“

„Verstehe“, seufzt die Küchenfee. „Was stinkt denn auf einmal so?“

Paula schnüffelt. „Es riecht nach Saustall. Heut muss Ostwind sein, der treibt ihn rüber.“

Wie es immer roch auf dem Lindnerhof, nach Schweinen auch. Und in der Küche, wo auf dem Herd der Hafen mit den Saukartoffeln stand. Dazu mischte sich der Geruch von Lauge und dem Holz der Dielen, schwarz vor Nässe, wenn sie geputzt wurden. Draußen im Hof der der Hühnerdreck und der Staub aus den Kuhlen unterm Holler. Hinterm Stall der große Misthaufen. Zum Dehner hinauf roch es aus dem Silo sauer und stark. Im Heustock das Stroh, das Heu, auch Staub und Dieselöl, wenn die Dreschmaschine da war und donnerte, dass alles bebte. Alles roch. Der Garten nach einem Regenguss, die Linde, wenn sie blühte, der Schnittlauch beim Schneiden, der Petersil auch. Und die Blumen, die Pfingstrosen mit ihren schweren Köpfen, später im Jahr die Gladiolen und Dahlien. Man wollte auch eine Schönheit haben. Das war der Stolz der alt‘ Frau Lindnermutter.

„Ich seh schon“, sagt die Küchenfee, „du bist im Paradies aufgewachsen.“

Paula gibt es zu. Und dann knurrt ihr der Magen. Jetzt gibt’s ein Brot mit Butter und Topfenkas. Die Küchenfee hat ihn freundlicherweise reifen lassen. Und weil sie so Hunger haben, schmeckt er ausgezeichnet.

 

Topfenkaserl

Paula mischt 1 Pfund Bio-Schichtkäse mit Salz, frisch geschroteten Pfeffer und gut Kümmel, vielleicht auch ein Stück Butter dazu. Sie formt kleine Kugeln, die sie auf ein Holzbrett setzt und einmal am Tag wendet, damit die Topfenkaserl von allen Seiten trocknen können. Sie wechselt auch mal das Brett. Es gibt Topfenkaserl von weich bis hart, von mild bis rass, je nachdem wie lange man sie liegen lassen kann.

 

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