Lesung Verbrannte Dichterin am 21. Mai 2015

 

 

Als ich vor gut zwei Wochen anfing, diesen Bericht über eine verbrannte Dichterin zu schreiben, sagte ich zu ihr, dass sie mir auf die Nerven ginge: Gina Kaus, du gehst mir auf die Nerven.

Und sie fragte zurück: Warum denn? Du bist doch moi so begeistert gwesen von mir und meim Leben. 

Und was für ein Leben, sag ich, so der Titel deiner Autobiographie. Mit Liebe, Literatur, Theater und Film. Gelesen hab ich es gerne, aber jetzt geht’s ans Schreiben.

Höchste Zeit, dass’d anfängst!, sagt Gina Kaus und lächelt. Sie ist eine Schönheit – und weiß es. Ich bin dir sehr dankbar, Darling, dass du die Leut an mich erinnern willst.

Zum Publikum: Gina Kaus hat einen Lebenswandel geführt, der heftig war. 

Ja, angfangen hat’s mit’m Pepi. Er war mei große Liebe. Ich war 19. Ich hab am Anfang net gwusst, dass er der junge Zirner war, der Bub vom reichen Juwelier Zirner.

In Wien.

Klar, in Wien, da komm ich her. Mein Papá  war a „Geldvermittler kleinsten Kalibers“.  Die Zirners habens net gern gsehen ... Der Pepi und ich waren no net lang verheiratet, da hat er an die Front müssen. Und is gfallen. Im Einserkrieg. Ich war mit 20 a Witwe und hab gmeint, ich kann net weiter leben.

Bis sich der Herr Joseph Kranz in dich verliebt hat. Ein Bankdirektor und Großindustrieller.

No, ich hab gmeint, ich hätt ein Leben ohne Liebe vor mir, aber wenigstens eins mit genug Geld. Weder meine Leut noch die Schwiegereltern ham was gsagt. Der Kranz hat mich adoptiert, als seine Tochter. Wie hätt’n des ausgschaut, wann er mit so am jungen Madl wie mir in seim Palais ghaust hätt. Des wär nicht reputierlich gwesen. Aber ich hab mich g’schamt, dass ich mich verkauft hab – und hab’s ihn büßen lassen.

Du hast in der Zeit mit dem Schreiben angefangen.

Ja, und ich bin gern ins Café Herrenhof gegangen, wo die Burschen warn, der Kraus Karl, der Broch Hermann, der Musil Robert, der Blei Franz, der mir ausgsprochen gut gfalln hat. Und der Otto Kaus. Ein chaotischer Mensch. 

Und von dem du schwanger geworden bist. 

Ja. Mit Absicht. Ich hab mich vom Kranz getrennt und hab den Otto gheiratet. Das war ein Fehler ... Zwei Buben hab ich von ihm gekriegt, den Otto und den Peter.  Die waren mir in Hollywood eine große Hilfe beim Englischlernen und –schreiben.

Du hast also auch emigrieren müssen.

Jo. Da wars aber noch eine Zeit hin. 

Gina Kaus hat in Wien ihre Karriere begonnen, sie schrieb als erstes ein Theaterstück, das gleich am Burgtheater aufgeführt wurde. Für die Novelle „Der Aufstieg“ erhielt sie den Fontanepreis. Sie schrieb für die Wiener Arbeiterzeitung, für die BZ am Mittag, die Vossische, den Uhu und die Dame in Berlin. Ihre sieben Romane erschienen – wie die Vicki Baums – beim Ullstein Verlag, der ersten Adresse für intelligente Unterhaltungsliteratur. Sie wurden in viele Sprachen übersetzt und fast alle verfilmt. Zusammen mit Otto Kaus ging sie nach Berlin. 

Hörst, jetzt bin ich wieder dran: Damals in den 20ern in Berlin is alles erlaubt gwesen, jeder hat mit jedem geschlafen, wann es ihm beliebte. Es war selbstverständlich. Nur ich war die einzige Treue in diesem Kreis. Und unglücklich!

Sie liebte nämlich inzwischen Eduard Frischauer, einen Anwalt und Spieler, der in Wien geblieben war. Wo auch ihre Kinder von der Mutter betreut wurden.

Weißt, damals fing das mit der Schlaflosigkeit an. Das geht jetzt schon 40 Jahre so. Inzwischen habe ich Eduard bekommen, so wie ich ihn wollte, ich habe ihn geheiratet, wir haben fünfzehn Jahre miteinander gelebt, ich habe mich scheiden lassen, er ist gestorben. Die Schlaflosigkeit mit all ihren Ritualen ist geblieben. Endlich sind wir zusammen in eine unglaublich schöne Wohnung in Wien gezogen. 1933. Wir hatten Freunde zum Champagner eingeladen. Das neue Leben konnte beginnen. Fünf Tage später, am 30. Januar wurde Hitler in Deutschland Reichskanzler.  Am 10. Mai sind meine Bücher in Berlin öffentlich verbrannt worden. Zusammen von denen von über 30 anderen Autoren. Nie war ich in besserer Gesellschaft.

Im März 38, unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs, flüchtete Gina Kaus mit ihren Kindern, überstürzt, ohne alle literarischen Unterlagen und amtlichen Dokumente ... Die Familie nahm den üblichen Emigrationsweg über Paris nach Marseille und von dort im September 1939 nach New York. Zwei Jahre zuvor war sie als Erfolgsautorin auf einem Luxusdampfer eingereist und nun war sie ein von Abschiebung bedrohter Flüchtling im Camp von Ellis Island. 

Jo, Darling, da bin ich nun ohne einen Schilling dagestanden und hab nicht gewusst wie ich die Fahrt nach Hollywood bezahlen sollte. Aber es gab diese so genannten True Storries. Sie zahlten 500 Dollar für jede Geschichte á 15 Schreibmaschinenseiten. Mein Bub, der Otto, hat jede Nacht übersetzt, was ich tagsüber geschrieben hatte. Am 15. November 39 sind wir dann in Hollywood angekommen. Die Vicky, die Vicky Baum weißt, war schon da und hat mir Kontakte zum Film verschafft. Ich hab’s mir nicht leisten können, drüber nachzudenken, ob es ehrenvoll sei, für den Film zu arbeiten. Aber es ist mir nicht leicht gefallen, in den Studios zu arbeiten. Es war sicherlich nicht gut für meine Reputation.

Aber sie brauchte das Geld. Gina Kaus kam für alle und alles auf: für die Miete, für die Köchin, den Gärtner, anfangs auch für den Chauffeur, bis Otto seine Fahrprüfung bestanden hatte, um die Mutter zu den Studios zu bringen. Sie bezahlte den Lebensunterhalt nicht nur für ihre Kinder, inclusive guter Schulen, sondern auch für ihren Mann, Eduard Frischauer, der immer wieder hohe Spielschulden machte. Und sie ließ ihre Mutter in Begleitung ihres Bruders nachkommen. Sie kämpfte. 

Es ja net  leicht, das Fußfassen in am neuen Land, die Sprach beherrschen und auch verwenden. Man hat sich anpassen müssen und den Alltag organisieren. Ich hab ja keine Frau ghabt, die des für mich getan hätt, wie die Frauen für die Herren Brecht,  Feuchtwanger, Mann, etc. – Was ich noch fragen wollt, fragt mich Gina, warum bist’n überhaupt auf mich gekommen?

Weil du geschuftet hast, sag ich, das Schreiben als Brotberuf durchgezogen, Drehbücher, Skripte, Filmstoffe geschrieben hast und eben nicht mehr die Bücher, die dir am Herzen gelegen wären. Du hast dir eine neue Identität erarbeitet. Die kann sich eine ja nicht backen wie einen Kuchen.

Trotz allem, Gina Kaus hat eine Geschichte, die gut ausgeht. Sie wird 91 Jahre alt. Und hat ein Leben gehabt. Und was für eins.

Danke, Darling, danke, dass du die Leut an mich erinnert hast.

 

Nichts zu danken, Gina Kaus.

 

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