Auf der Ferieninsel

 

Carlina König hat sich in Carlina Katze verwandelt. Endlich kann sie tun und lassen, was sie will. Sie springt mit einen Satz auf die Theke von Lärry Löffelstiels Eissalon und maunzt: „Miau, ich will noch mehr Fischeis.“

„Kommt nicht in Frage“, sagt Lucy Ling, Carlinas neue Kinderfrau. Lucy Ling sieht sehr chinesisch aus in ihrem roten Seidenkleid mit den weißen Chrysanthemen. Sie hat schwarze Haare und schräge Katzenaugen.

Lärry Löffelstiel, der Besitzer des Eissalons, nickt. „Kein Eis. Und überhaupt: Für eine Katze bist du – entschuldige – zu dick.“

Carlina faucht. „Chchch. Gar nicht wahr.“

„Doch.“ Lärry lacht, dann singt er:

 

„Lirum, larum, Löffelstiel,

Carlina Katze wiegt zuviel.

Nun lernt sie das Fasten.

Das Eis kommt in den Kasten.

Der Löffel steht daneben.

Ei, welch lustig Leben.“

 

Carlina ist empört. „Gar nicht lustig. Chchch.“

Lärry Löffelstiel räumt die Eisbehälter in die Kühltruhe und klappt die Theke hoch. „Runter mit dir“, sagt er zu Carlina. „Ich muss die Kiste flugfertig machen.“

„Wir fliegen?“, staunt Carlina. „Wohin denn?“

„Lass dich überraschen“, sagt Lucy Ling.

Lärry montiert den Eislöffel-Fahnenmast als Propeller auf das Dach. Das Kühlaggregat im Eissalon wird zum Superpower-Antrieb umgepolt. Dann gibt Lärry die Koordinaten auf einem elektronischen Globus ein: Längengrad Carlinas Mutter, Breitengrad Carlinas Vater. Ziel: Exakter Aufenthaltsort.

„Aber sie sind doch zu Hause“, sagt Carlina Katze.

„Ich fürchte“, sagt Lucy, „sie machen gerade Urlaub auf einer Ferieninsel.“

„Ohne mich?“, schreit Carlina. „Das ist nicht wahr. Sie können mich doch nicht alleine lassen. Miauuu.“

„Du bist nicht allein“, sagt Lärry. „Du hast ja jetzt uns, Carlinchen.“

Lucy nimmt die Katze auf den Schoß und streichelt sie. Dabei spürt Carlina, dass Lucy Ling es gut mit ihr meint. Sie fühlt sich geborgen. Sie dreht und räkelt sich. Lucy Ling darf ihr sogar das Bäuchlein kraulen.

Lärry Löffelstiel drückt den Starter. Der Propeller rotiert. Das Superpower-Aggregat wummert. Die Energie der Eiskristalle hebt den Wohnwagen senkrecht in die Luft. „Juhu!“, schreit Lärry. „Geschafft! Wir fliegen mit Sternenlicht-Geschwindigkeit.“

Der Eissalon saust über den Wolken. Bald geht die Sonne unter. Der Mond erscheint und begleitet sie ein Stück. Carlina Katze sieht die Sterne funkeln. Als sie verblassen, geht die Sonne wieder auf. Unter dem fliegenen Eissalon glitzert das Meer im Morgenlicht. Inseln tauchen auf. 

Auf Lärrys elektonischen Globus blinkt ein Inselchen. „Da“, ruft Lärry, „das ist die Ferieninsel von Carlinas Eltern.“

Unter ihnen liegt eine Insel mit einem palmblattgedeckten Luxus-Bungalow samt Swimmingpool. Ein Pfad führt zum Sandstrand. An einem Steg schaukelt ein Motorboot. Gerade springt ein Mann hinein. 

„Das ist ja Papa“, miaut Carlina. „Er fährt schon wieder weg.“

„Nichts Neues“, meint Lucy Ling.

„Aber wir kriegen ihn schon noch“, sagt Lärry und grinst.

Das Motorboot kurvt übers Wasser und zieht eine weiße Schaumschleppe hinter sich her.

 

Hinter dem Luxus-Bungalow, im dichten Gebüsch, steht die Versorgungs-Unit der Ferieninsel, eine Hütte, in der das Dienstpersonal lebt, ein Zimmermädchen und ein Diener. Sie erschrecken sehr, als der fliegende Eissalon direkt neben ihnen landert. Aber Lucy Ling lächelt sie an, verbeugt sich und spricht in einer Vogelzwitschersprache mit ihnen.

„Was hast du gesagt?“, will Carlina wissen.

„Dass wir mit ihnen tauschen wollen“, erklärt Lucy. „Wir werden uns höchstpersönlich um deine Eltern kümmern.“

 

Carlina Katze folgt Lärry Löffelstiel auf dem Fuß, als er sich in Richtung Bungalow begibt. Am Pool liegt ihre Mutter im Bikini, sonnt sich und seufzt. Schon wieder hat ihr Mann sie alleine gelassen, weil er Batterien besorgen muss, um auf seinem Labtop die Börsenkurse verfolgen zu können. - Ah, da kommt ein neuer Diener, denkt sie.

 

Lärry rückt seine Schiffchenmütze zurecht und verbeugt sich. „Was darf ich Ihnen bringen, Madam? Vielleicht einen Drink? Oder ein Sorbet, ein Fruchteis mit einer Portion Freude und einer Prise Abenteuer.“

Frau König wundert sich ein wenig, dann nickt sie gnädig. Lärry verschwindet. Jetzt entdeckt Carlinas Mutter die kleine Katze und ruft entzückt: „Gott, so süß. So ein niedliches Kätzchen. Komm zu Mami, komm, komm!“

Carlina schnurrt. Aber dann erinnert sie sich, dass ihre Mutter sie alleine gelassen hat. Sie wird wütend, macht einen Buckel, die Haare stellen sich auf und der Schwanz wird buschig. Carlina hopst schräg auf allen Vieren angriffslustig auf ihre Mutter zu. Aber die lacht nur. „Irre komisch“, sagt sie und greift sich Carlina.

Das ist zuviel. Carlina Katze wehrt sich. Sie faucht und sie kratzt.

Frau König schreit. „Au. Oh. Ich blute. Au-au-au!“

Lärry Löffelstiel ist sofort mit Jod und Pflaster zur Stelle. Jetzt tut es Carlina leid, das sie ihrer Mutter weh getan hat. Lärry klebt das Pflaster auf den Kratzer, räuspert sich und sagt: „Tja, so ist das mit kleinen Tieren und mit Kindern auch: man muss sie respektieren. – Und hier ist ihr Eisbecher, Madam!“

Frau König setzt sich auf und nimmt ein Löffelchen. „Lecker“, piepst sie. Schleckt und nascht und knabbert und – schrumpft. Carlina miaut laut vor Überraschung. Auf der Liege am Pool sitzt eine Maus.

„Was ist passiert?“, piepst sie.

Das ist passiert: Lärry Löffelstiels Metamorfosa-Eis hat sie in eine Maus verwandelt.

Carlina schnuppert. „Bist du süß“, maunzt sie. „Nein, lauf nicht davon. Ich will ja nur mit dir spielen.“

Aber das Mama-Mäuschen springt von der Liege und läuft in panischer Angst davon, Carlina ihm nach. Fangen, ein herrliches Spiel! Sie erwischt die Maus und trägt sie vorsichtig zwischen den spitzen Zähnen zum Pool zurück. „Ich tu dir doch nichts, Mama-Maus.“ Zärtlich tappt sie mit eingezogenen Krallen auf ihr Fellchen. Aber Frau König fürchtet sich schrecklich. Ihr Mausekörper zittert von der Nase bis zum Schwänzchen.

Schließlich sagt Lärry: „Jetzt ist es genug, Carlinchen. Jetzt hat deine Mutter am eigenen Leib erfahren, wie es ist, wenn man für jemand nur ein niedliches Spielzeug ist.“

 

Ein Spielzeug? Carlina Magen knurrt. Nein, eine Maus ist doch was zum Essen. Sie vergisst ganz, wenn sie vor sich hat. Ihre Augen werden schmal. Ihr Schwanz peitscht vor Jagdfieber hin und her. Schon spannt sie sich zum Sprung, da hört man ein Motorboot röhren. Papa! Carlina dreht den Kopf. Papa kommt. Die Maus nutzt ihre Chance und rast davon.

 

Herr König hat seine Batterien bekommen. Er will sie gleich in den Labtop einsetzen.

„Papa“, miaut Carlina. „Schön, dass du da bist, Papa. Ich hab Hunger, Papa.“

Aber Herr König versteht sie nicht. Er achtet nicht auf die kleine Katze, die ihn anbettelt, sondern verschwindet im Bungalow und wirft die Tür hinter sich zu. Peng.

Carlina Katze miaut jammervoll.

„Arme Kleine“, sagt Lärry Löffelstiel und steichelt sie. „Wir gehen jetzt zur Hütte rüber und dann mach ich dir was Feines zum Fressen. Mit einer Kugel Fischeis zur Nachspeise.“

Mmh, Fischeis! Carlina Katze ist getröstet. Sie reibt sich an Lärrys Beinen und hopst im Zickzack fröhlich voraus.

 

 

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