Verena Vogelfrei

 

Es war einmal eine Tochter, die wollte keine mehr sein. Sie wollte weg. Immer hatte sie ihre Füße unter den Tisch stecken müssen, immer den Vaters-Namen tragen und mit ihm einer Meinung sein. Nun wollte sie endlich frei sein und sich selbst erfinden.

Wenn du nicht mehr zu uns gehören willst, sagte der Vater, dann, dann -

Was dann?, wollte die Tochter wissen.

Dann bricht mir das Herz. 

Wer’s glaubt, sagte die Tochter und verließ ihr Vaterhaus. Ganz ohne Vatersegen. Abends ging sie zu ihrer Großmutter. Dort war sie willkommen und bekam Suppe und Brot und Herz mit Kartoffelbrei und Soße. Das Herz aber war von ihrem Vater. Es war ganz flach, weil es einen Schlag bekommen hatte. Die Mutter hatte das Vaterherz vor die Tür geworfen, und die Oma, die nichts liegen lassen konnte, hatte es mit Zwiebeln gebraten, mit Mehl gestaubt und mit Brühe aufgegossen. Das gab eine gute Soße und schmeckte herz-haft.

 

Der Großvater war schon tot und lag unter dem Küchenfußboden begraben. Jetzt drehte er sich um und um, dass die Dielen knackten.

Hör auf damit!, herrschte ihn die Oma an. Was regst du dich so auf?

Ich habe es dick, sagte der tote Opa, wie in dieser Familie mit Männern umgesprungen wird. Ihr Frauen gehorcht nicht mehr, ihr woll frei sein, ihr wollt euch selbst erfinden. Ja, was soll denn das? Ihr wollt nicht mal mehr den ehrlichen Vaters-Namen tragen. Geh hin und heirate, sagte er zu seiner Enkelin, wenn du einen anderen Namen haben willst.

Opa, sagte sie, das will ich nicht gehört haben und auch nicht mehr deine Enkelin sein. Ich bin jetzt Verena Vogelfrei.

Da lachte die Oma, nahm sie in die Arme und küsste sie. Guten Flug, Verena Vogelfrei!, rief sie.

Verena flog davon, es waren ihr nämlich Flügel gewachsen. Sie flog in den Himmel hinauf und wieder herunter und landete in einen Baum. Dort baute sie sich ein Nest, legte Eier hinein, aus denen Geschichten schlüpften, die sie rauswarf, wenn sie fllügge waren. Nur nicht zu lange in der Familie hocken bleiben, sagte sie. Fliegt, Kinder, fliegt hinaus in die Welt!

 

 

2010

 

Zurück