Zucker genügsamer Liebe

 

 

Das Stück in 10 Bildern spielt in einer bayerischen Provinzstadt, z.B. Freising,

in der Ludwig-Thoma-Zeit, dito im Stil, kurz vor dem 20. Jahrhundert.

 

 

Laurie, eigentlich Laurenzia, 18 Jahre alte Bauerstochter, darf Köchin lernen.

 

Marli, ihre Freundin. Sie ist zwei Jahre jünger, Dienstmädl.

 

Theres, Köchin, Tante von Laurie und ihre Lehrherrin. Ledig und rund.

 

Küchtentrampel, stumme Rolle, weiblich, aber nicht gleich erkennbar.

 

Hausfrau und Hausherr, reiche Bürger. Textilhandel engros und endetail.

Sie ist eine Bigotte, Frömmlerische, mit einem bemühten 

Hochdeutsch.

Er ist jovial, mit Bauch, in einen Stehkragen gepresst....

 

Gäste, ein Ehepaar, sehr fein, hochdeutsch. Geschäftspartner.

 

Josef 28 Jahre alt, jüngerer Bauernsohn, Viehhandler (Roßtäuscher), ein Schlawiner und Weiberheld, aber nicht unsympatisch.

 

Zeit: 1891, in einer bayrischen Kleinstadt wie z.B. Freising

 

Orte:

Grosse Herrschaftsküche,

Mädchenkammer unterm Dach,

Esszimmer der Herrschaft,

Bahnhofswirtschaft mit Garten,

Grooße Klosterküche

 

 

Inhalt: Es geht darum, wie Laurenzia unter die Haube kommt und

nicht in die Schande. Ein weibliches Leben mit aufgegebenem Berufswunsch.

 

Sprachkolorit: Pathos und Hochmut der Herrschaftssprache, das französich angereicherte Küchenbayrische, das grobe, lieblose Bayrisch, Küchenlieder, Kinderverserl, Sprüche, Bigotterie und Frömmelei. Rezepte aus dem handschriftlichem Kochbuch meiner Urgroßmutter.

 

 

1. Bild

 

 

Theres steht am Herd, hebt Deckel, rührt um. Laurie vorne am Tisch, Zwiebel schneidend. Sie weint. Sie beiden singen zweistimmig "Mariechen saß weinend im Garten, im Schoße ihr unschuldig Kind, ... so traurig ... etc.

 

LAURIE Sche bled! Warum hat sa si a Kind machen lassen.

 

THERES Des konn scho passiern.

 

LAURIE Mia nia! Wann i bei dir ausglernt hab, Tant Theres, na geh i ins Grand Hotel. Werst scho sehng!

 

THERES Zum Gmüas-Putzen.

 

LAURIE Na! Als Kaltmamsell.

 

THERES trocken Zum Salat-Putzen nachert.

 

LAURIE läßt sich nicht drausbringen Und danach mach i d'Pasteten. Königin- Luise-Pastete mit Gelee royal. Was moanst?

 

THERES Hochmut kommt vor den Fall.

So und jetzt pressiert's! Da, schneid ma de Zwieven aa no. Tu di schleina! Is die Schüh scho soweit? Tummel dich, Jessas, Mar und Josef!

 

(Bei dem Namen Josef reißt's die Laurie. Sie flüstert verträumt "Josef" Dann wieder Hektik und Hetzerei. Viel Küchenkrach. Der Trampel kommt allen in die Quere.

 

 

2. Szene

 

MARLI kommt rein, gefolgt vom TRAMPEL, der ihr alles nachmacht.

 

MARLI (krümmt sich) Auuu!

 

LAURIE Was hast'n, Marli?

 

MARLI D' Rosa-Tant. Und an schena Gruaß von ihr!

 

LAURIE Dankschön! I hab gar net gwußt, dass du a Tant Rosa hast.

 

MARLI Au! Des Bauchweh geht ma obi bis in d'Zechen.

Geh, red do koan so an Schmarrn! 

 

LAURIE Marli, hast du scho gwusst, dass ma an Schmarrn, an Kaiserschmarrn, no im Röhrl ausbachen lasst, damit er sche locker bleibt und net zsammabappt.

 

MARLI Mei, und dir hats as Hirn zsammbappt.

 

 

 

2. Bild:

 

Im pompösen Gründerzeit-Esszimmer der Herrschaft. Starker Gegensatz: Ruhig, ganz soigniert, dezentes Serviettenentfalten, Räuspern, Suppeneinschenken, Löffel rühren um. Hausherr schlürft.

Hausherrin mahnt: "Friedrich, bitte!" 

Es ist noch ein zweites Paar am Tisch: Geschäftspartner mit Gemahlin, englisch gekleidet. 

Nachdem die Herren ein bißchen über die Zeitläufte (Bismark, deutsches Reich seit 1870, etc.) gesprochen haben, unterbricht die Hausherrin: "Bitte keine Politik bei Tisch, meine Herren!"

Dann unterhält sie sich gestelzt mit der anderen Gattin. Über Hausfrauliches und über die Dienstboten. Und dass sie dem Lehrmadl der Köchin einen freien Mittwochabend geben muss, unerhört!

Tür auf: Marli mit Kraut, Theres mit Braten, Laurie mit den Knödeln...

Der Hausherr zwickt Laurie verstohlen. Das mag sie gar nicht.

 

 

3. Bild:

 

Abends. Laurie in der Mädchenkammer unterm Dach. Die Schreibfeder kratzt. Laurie trägt das Rezept für die "Schüh" bei Kerzenlicht in ihr Heft ein. 

 

Man richtet in einen Diegel Selleriewurzel, gelbe Rüben, Zwiebel,

Butter und etwas Fett, legt etwas geschnittene Leber, ebenso feingeschnittenes Ochsenfleisch und kleingehackte Knochen bei.

Jetzt den Diegel aufs Feuer, und läßt den Inhalt schön braten

und gießt etwas Fleischsuppe daran. Läßt es sodann nochmals gut aufkochen,seiht es durch ein feines Sieb, und gibt es mit Beilagen,

als gebackene Nüsse, Knöderln und dergl. (dergl?)

schön heiß zu Tische. 

 

Dann kommt Marli rein. Sie will was über den Josef wissen. "Komm, erzähl, lass di net so bittn!"

Laurie fängt an. Während der Erzählung wechselt das Bild:

 

 

4. Bild:

 

Rückblende: Garten der Bahnhofswirtschaft. Leere Krüge. Immer noch Abend, Kastanien. Zugpfiffe, Dampf.

Josef hält Laurie auf der Bank sitzend im Arm, er singt: "Laurenzia, liebe Laurenzia mein, wann werden wir wieder beisammen sein?"

Laurie singt: "Am Mihittwoch!"

Beide: "Ach, wenn's doch immer nur Mittwoch wär, etc."

Zärtliche Bussln. Laurie entschwindet.

Wiederholung, wie oben. (Es ist wieder ein Mittwoch).

Josef: "Muaßt scho geh?" Ein Hin und Her, immer drängender.

Wiederholung, wie oben. Zum Schluss zerrt der Josef die Laurie hinter die Büsch. Laurie wehrt sich.

Josef: "Dua di net spreizn, sunst mag i di nimmer. Wo i di doch so mag!"

Laurie, weinerlich: "Net scho wieder!"

 

 

5. Bild:

 

Dachkammer wie vorhin:

Laurie, diesmal stolz und angeberisch: "Und dann ham ma scho wieder..."

Marli: "Scho wieder! Dass'da net Sündn fürchst!"

Lauri: "Des konn koa Sünd sei..."

Singen miteinander zweistimmig ein schönes bayr. Liebeslied...

Marli lacht: "Geh, hör ma do auf. Du mit deim Roßtäuscher!"

Laurie: "Aber er is a Schneidiger, a ganz a Sauberner!"

Marli, verächtlich: "A ganz a Sauberner."

Sie kommen ins Streiten. Ob der Josef die Laurie heiraten tät, wenn sie müsst... 

Der Konflikt zwischen den Mädchen klärt über die soziale Herkunft Lauries auf: Als Bauerntochter, die was lernen darf, protegiert von ihrer Köchin-Tant, ist sie gut dran. Während Marli ein Grattlerkind ist und nie wird heiraten können, weil sie das Geld und die Erlaubnis dafür nicht zusammenkriegen kann. Sie sieht sich schon enden wie der Trampel.

Und überhaupt: So eine Aussteuer, wie sie hinten im Kochbuch der Tant Theres steht, kriegt sie nie zusammen. Marli liest schwärmerisch vor.

 

Dann singt Laurie ein Hohelied auf die Ehe und ein bürgerliches Leben mit Mann und Kindern, so romantisch überzogen, dass es schmerzhaft ist. 

Aber: Ein uneheliches Kind wäre für Laurie eine Katastrophe. Noch hofft sie, dass nichts passiert ist. Aber "es" ist schon länger ausgeblieben...

 

 

6. Bild:

 

Im Wohnzimmer am anderen Morgen. Frühlicht, Frühstücksgeschirr.

Der Hausherr macht Laurie Avancen. Sie läßt ihn grob abfahren. Jetzt ist er nicht mehr so gut auf sie zu sprechen.

"Mei, bist du bled", sagt Marli, die es mitgekriegt hat. "Jetzt hast da dem sei Feindschaft zuazong. Sunst hättst wenigstens an Vatter für dei Kind ghabt, der gscheit zahlt."

 

 

7. Bild:

 

In der Küche. Laurie mag nichts essen. Ihr ist schlecht.

Theres-Tant riecht was: "Wer hat dir denn den Bratn ins Röhrl gschobn? - Da, trink den Tee, des huilft dir vielleicht."

Laurie: I geh ins Wasser!

Marli: Tua di net versündigen!

Laurie: I geh ins Wasser wia da König Ludwig.

Marli: Wieso, war der aa schwanger?

 

Der Trampel schleppt Wasser herein.

Hausherrin kommt in die Küche und regt sich auf: "Seit wann werd bei uns so viel Wasser braucht?"

Laurie: "Is ja nur zum Badn."

Hausfrau: "Zum Baden? Seit wann bist du denn so aufs Baden versessen? Aha, daher weht der Wind. Das isja kein Wunder bei so einer Mutter."

Jetzt stellt sich heraus, dass die Laurie ein erstes und unehelich geborenes Kind ist. Und dass man ihr das nicht verzeiht. Ihr nicht und ihrer Mutter auch nicht. Ein gesellschaftliches Todesurteil im bürgerlichen Verständnis des 19. Jahrhunderts. Also, großes Trara, Demütigungen und Rauswurf!

"Pack dein Glump und hau ab!"

Hausfrau rauscht ab. Marli weint und ab.

 

Nur noch Theres-Tant und Laurie in der Küche. Stille. Der Trampel summt.

Die Theres-Tant greift die Melodie auf und fängt zu singen an: "Und da Adam hat an Apfel gessn und de Eva an Stui. Wia da Adam scho fertig war, hat de Eva no vui." 

Laurie lacht schluchzend. "Moanst?"

Theres, erbost: "Ja, vui im Bauch. Und d'Mannerleut san allweil fein raus. Weil's wahr is! - Wo warst'n am letzten Mittwoch?"

Laurie: "Bei da Muatter."

Theres: "So? Bei deiner Muatter. Und was hat's na gsagt?"

Laurie: "Brauchst di gar nimmer bei uns blickn lassn, hat's gsagt, mit deim Bankert. Und: hast überhaupts an Vatter für dein Schratzn?

Theres: "Jessas, Mar' und - Josef!"

Laurie: "Genau!"

Theres: "I wissert dir scho was." 

 

 

8. Bild:

 

Bahnhofswirtschaft, Garten, Dampfzug, Pfiffe.

Wie die Mittwochsszene. Josef und Laurie am Tisch. Leere Krüge.

Josef spendiert noch a Mass. Er schäkert, ist lustig, hat eine volle Börse und schwadroniert von seinem letzten Viehandel: "Den Bauern hab i aber sauber aufs Kreiz glegt."

Laurie, leise: "Mi aa, Josef. Jetzt muaßt mi heiratn."

Josef wehrt sich auf die ganz gemeine, typisch männliche Art. Es geht soweit, dass

Laurie aufspringt, schreit: "I bring mi um!"

Ein Zug dampft und pfeift, fährt an. Laurie lauft ihm hinein. (Meint man).

 

 

9. Bild:

 

Klosterküche. Viel Kochdampf. Nonnen, als Schemen mit Flügelhauben. Im Vordergrund hockt Laurie mit dickem Bauch vor dem Kartoffelkübel. Schält. 

Klosterfrauen-Stimme: Erster Montag im Oktober: Endiviensuppe mit gebackenem Brot. 

In lateinisch die Fötenentwicklung im 2. Monat...

Chor: Salve Maria, reine Magd etc.

Stimme: Zweiter Dienstag im November: Rindfleisch mit Salat von roten Rüben. Wieder lat. die Fötenentwicklung im 3. Monat.

Chor: Salve Maria etc.

Stimme: Dritter Mittwoch im November: Linsengemüse mit geräucherten Würsteln. etc.

bis zum 8. Monat. Dann singt Laurie:

"Muss ich mich getäuschet wissen,

ist das Band denn ganz zerissen, 

das mich fest vereint mit dir?" etc.

mit Chor der Klosterfrauen, sehr rührend, bis

April, neunter Monat: Milchnudeln mit Prünellen-Kompott.

Laurie stöhnt. Fällt um. 

 

 

10. Bild:

 

Bahnhofswirtschaft, Garten. Mai. Kastanien blühen. Josef sitzt vor einem leeren Krug. Bestellt noch eine Mass. Zugpfiff, Dampf, Bremsen kreischen. Laurie kommt mit einem Bündel im Arm auf ihn zu.

Sparsame Begrüßung:

Josef: "Grüaß di. Wia geht's da nachat?

Laurie: Guat.

Josef: "Und, was iss' na?"

Laurie: "A Bua."

Josef: "Na heirat ma halt."

 

Jetzt füllt sich die Bühne: Marli, die Theres-Tant, der Trampel, die Herrschaften, Bauern, zum Schluss ein Pfarrer. 

Laurie wird auf offener Bühne zur Braut kostümiert mit Schleier und Myrthenkranz, den ihr der Pfarrer aber wieder runterreißt. Dann segnet er das Paar. Jetzt sind sie verheiratet. 

Dann wird ihr wieder alles genauso schnell runtergerissen, das Baby-Bündel wieder in den Arm gedrückt. Und ein Hochzeitsgeschenk von der Theres-Tant: Das Kochbuch. Laurie gibt es Marli, die blättert es auf und liest die Widmung vor:

 

Nimm frohen heitern Muth, so viel du nur fassen kannst, eine ziemliche Portion Fleiß, Genauigkeit und Pünktlichkeit, überstreue es mit herzlichem Zucker genügsamer Liebe. - Äh. Na, genügsamen Zucker herzlicher Liebe muass' hoaßn, - lasse es im Hafen einer immer heiteren Hoffnung aufkochen und stelle es mit freundlichem Gesichte auf. Gewidmet von deiner Therese Wimmer.

 

Alle jubeln. Fetziges Schlusslied, einen Zwiefachen.

 

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