Ursula sticht Löwenzahn

 

Gegen das Altwerden werden kann man nichts machen, oder? Die Jahre laufen ab, eins immer geschwinder wie das andere. Aus jedem Winter kommt man zerknitterter heraus. Nicht alle Fältchen werden im Sommer wieder verschwunden sein. Das ist so. Die Zähne werden marod, das Zahnfleisch entzündet sich und der Zahnarzt wird zu dem Mann, den man immer öfters an sich ran lassen muss. Und viel zu nah. Aber da kann man nichts machen, oder.

Aber gegen den Löwenzahn kann man was tun. Schon vor drei Jahren hat Ursula das Löwenzahn-Ausstechen übernommen. Also, sie hockt im Heimgarten ihrer jungeren Schwester zwischen all den andern Schrebern und sticht mit der langen Klinge an den Pfahlwurzeln der Löwenzähne entlang in die Erde. Krtsch, hebelt sie sie raus, aber wieder nicht ganz. Die weiße Bruchstelle an der Wurzel beweist es. Aber da und dort, schau! Die Blattrosetten stechen Ursula ins Auge, sie hat sie zu ihrer persönlichen Angelegenheit gemacht. Zum grün gezacktem Feindbild, zur ausgemachten Bosheit, ihr zum Trotz. Später kommen noch die Disteln dazu, der Ehrenpreis, die Brennesseln und der verfluchte Girsch. Gegen den kann man nichts machen, glaubt Ursula, nicht wirklich. Also, die Löwenzähne. So oft man sie sticht, sie wachsen weiter. Nach einer Woche sind sie wieder da, diesmal platt gepresst und ohne Stängel unter der neuen Knospe. Mit Stängeln geben sie sich überhaupt nicht mehr ab, die Hundling, Hauptsache Blüten, Samen, schwebende Schirmerl, eine zarte aber gnadenlose Vermehrung.

Schau, schon wieder die kleinen Sauköpf, sagt Ursula zu ihrer jüngeren Schwester Sabine. Sie ist 15 Jahre jünger! Das geht doch nicht, sagt Ursula, dass man die Löwenzähn stehen läßt, schon wegen der Nachbarn nicht. Der Nachbar, sagt Sabine, der ist doch nett und nickt dem Rentner freundlich zu. Der grüßt strahlend zurück, weil so eine Junge und Hübsche ihn anschaut. Und zu den anderen, meint sie, schauen wir einfach nicht hin.

Gut, sagt Ursula, wenn du meinst und hinhören tun wir auch nicht, wenn sie so laut und hochdeutsch mit ihrem Enkelkind reden: Marie, sag mal Oma zu Oma. Marie, sag mal Opa zu Opa. Mariiiee! Komm, sag mal Oma ...

Nein, da kann man nichts dagegen tun, nur auf die andere Seite vom Schreberhäusl gehn und schaun, was dort die Löwenzähne machen.

Während meine jüngere Schwester locker aus dem Kreuz raus ein Kirschbäumchen pflanzt, die Brombeeren aufbindet, eine Reihe Salat, blaue Dragoner oder wie sie heißen, setzt und anschließend das Schneckenkorn elegant dazwischen streut. Das war im vorigen Jahr.

Aber heuer ist es auf einmal anders: Wie Ursula an einem der ersten Sonnentage im März in den Garten komm, hockt ihre kleine Schwester mit dem Pflasterstein-Zwischenraum-Auskratzer da und kratzt das Unkraut zwischen den Pflastersteinen auf der Terrasse vor dem Schreberhäusl raus. 

Aha, sag Ursula, tüchtig, sagt sie. Dieser Winter hat auch Sabine ein paar mehr Fältchen ins Gesicht gegraben. Ursual hat sich gleich den Löwenzahnstecher geschnappt und gemeinsam haben sie schweigend und mit tiefster Zufriedenheit was gegen das Unkraut getan. Ursulas jüngere Schwester war damals Mitte 40. Ganz schön alt für ihre Verhältnisse.

 

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