Ursula im Hestia Heim

 

Im Jahr 2026: Ursula schaut sich alle Altenheime an. Dazu braucht sie Mut! Sie ist nun schon knapp achzig und will sich kundig machen. Ob sie genug Kohle für ein gutes Heim hat? Das ist sehr zweifelhaft. Vielleicht sollte sie selbst ein Heim gründen, hier auf dem Papier. Zwar nur für Künstler, für schräge Leute mit einem gewissen Hau und viel Fantasie, normale nur als Personal. Sie hat auch schon einen Namen dafür: Es soll Hestia-Heim heißen, nach Hestia, der ersten und ältesten der griechischen Göttinnen. Ihr Zeichen ist der Omphalos, der weiße Nabel- und Herdstein, der Mittelpunkt eines jeden Hauses.

 

Im Saal sind große Tische zum Malen, immer dienstags um 14.30 Uhr, geleitet von Conny auf die antroprosophische Art, Aquarell, nass in nass und mit sehr guten Farben. Auch Tonbatzeln, Conny sagt lieber Plastizieren dazu. Ursula macht Häusl, Dörfer, Dioramen. Einer, so ein witziger alter Mann, darf seine Eisenbahn durchfahren lassen. Am Freitag-Abend, Friday Night, ist Vorlese-Abend. Weil Ursula im Vorstand des Literaturkreises ist, kann sie die Texte jurieren. Natürlich sind ihre eigenen die besten ☺. Ein Lieferant aus Österreich bringt die Weine, denn fröhlich sollen die Freitag-Abende schon sein. Nach den Texten werden gute Platten aus den 70/80er Jahren aufgelegt und dazu getanzt. Das lockert auf und macht glücklich, manche können nur mitsingen, aber auch das macht glücklich genug.

Jede Person hat ihr eigenes Zimmer, Privatspäre ist wichtig. Ach ja, und Samstagabend ist Laienspiel. Monalisa und ihre Gruppe von den „Neuen Niederbayern“ werden die Auferstehung der Persephone vorführen, das Publikum wird begeistert sein! Ursula gehört auch zum Theaterkollektiv. Sie spielt die Hekate, während Monalisa die Persephone darstellt. Wer Demeter machen soll, ist noch nicht raus, wahrscheinlich Doro, die Köchin. Hades wird vom Eisenbahner übernommen, eine stumme Rolle, aber mit Trillerpfeife. 

Das Essen im Heim ist hervorragend, weil Doro als Spitzenköchin in der Küche arbeitet und sich von den Neuen Niederbayern inspirieren lässt. Deshalb gibt es mal was Afrikanisches: gebratenen Fisch mit Fufu oder was Afghanisches: Nudeltäschchen mit Yoghurtsoße, auch levantinischen Couscous, Auberginen und Tomaten. Oder mal wieder herzhaft und heimatlich: Kartoffelbratl mit Sauerkraut, wahlweiße Weiskrautsalat. Gut beißen oder pürrieren!

Das Hestia-Heim hat einen großen Garten, in dem sich, wer mag, ein Beet anlegen kann. Umgraben tun die starken, jungen Niederbayern. Das Sozialamt finanziert ihnen Arbeiten wie Putzen, Küchenarbeit, Wäsche, Baumschnitt etc.

Es gibt auch Ausflüge: Raus aus’m Heim! In den Wald, unters Sternenzelt und in gute Lokale. Ursulas Freundinnen sind dabei. Manche sind noch gut drauf, manche krank. Zum Sterben haben wir im Hestia-Heim ein Hospiz. „Totwerden“ ist das Thema, das Ursula mal als Theaterstück schreiben will. Angeblich stirbt eine jede auf ihre eigene Art, das könnte doch spannend werden. Im nahen Ruhe-Wald hat man Urnen unter den Bäumen vergraben. Ursula hätte gerne eine Linde im Freien, so wie die in der Sendung „Unter unserm Himmel“. Es gibt auch Termine für Gespräche mit PsychologInnen der geriatrischen Richtung, die kommen, um zuzuhören. Ha, wie wichtig das ist, gehört und ernst genommen werden.

Zur Abwechslung gibt’s Kursangebote zum Bearbeiten von Videos und Handarbeitskreise. Ob man, ob Ursula, mit achzig noch Klöppeln erlernen kann? – Musik wäre auch wichtig. Ursula würde gerne einen theoretischen Einführungskurs dazu machen. – Und Haustiere? Oh ja! Ursula hat natürlich ein Katze, eine Mietzi oder einen Burschi, versuchsweise auch ein Aquarium mit Fischlein. Im Garten grasen zwei Schafe, die zu einem benachbarten Bio-Bauernhof gehören. Dort kann man mithelfen, wenn man Kraft und Lust hat. Kann das reife Getreide beim Dreschen riechen und das Brot beim Backen, das Gras wenn’s gemäht wird, den Mist beim Düngen, die Schweindl auf ihrer Weide, wenn sie ein Schlammbad nehmen. Buttern zu dritt, dann strengt’s nicht so an. – Turnen und Gymnastik wären wohl wichtig. Und weiter leben! Vielleicht nochmals 10 Jahre bis 2036. 

 

2.1.2016  Entstanden im Seminar „Der rote Faden“.

Daraus hat sich seitdem ein Roman entwickelt „Das Hestia-Heim“. Es ist noch in Arbeit.

 

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