Ursula und das Christkind

 

Ursula hat’s hinter sich, sie ist schon im Ruhestand und aus dem Arbeitsleben heraus. Jetzt will sie sich alle Wünsche erfüllen, für die sie nie Zeit hatte, z.B. öfter ins Theater gehen, Kurse in der Volkshochschule belegen und Städtereisen unternehmen. Das wär schön, besonders zu zweit. Wenn eine einen Mann an der Seite hat, geht doch alles viel leichter. Nun ja, ein Mann ist kein Zuckerschlecken, das weiß inzwischen Ursula auch.

Es ist Sommer, ein strahlender Sommermorgen, die Balkonblumen sind schon gegossen, das Radl frisch aufgepumpt und das Badezeug hergerichtet, da klingelt es. Es wird doch nicht ... Ursula schaut durch den Spion. Niemand. Es läutet wieder. Blöde, kleine Klingelputzer, denkt Ursula und meint damit die Nachbarskinder. Verärgert reißt sie die Tür auf und da steht – nein, kein Prinz – sondern ein Kind. Ein Kind im weißen Wintermantel mit goldgeschnürten Stiefelchen, die pelzgesäumte Kapuze tief übers Gesicht gezogen.

„Wer bist denn du?“, fragt Ursula.

„Das Christkind. Darf ich reinkommen?“

„Du bist früh dran“, sagt Ursula sarkastisch.

„Entschuldige“, sagt das Christkind, „aber bei mir war’s im Himmel so langweilig. Immer nur Manna trinken.“

Ursula grinst „Und Halleluja singen“, ergänzt sie.

„Luja!“, ruft das Christkind lachend und sieht zu Ursula hoch. Seine Augen, diese Kinderaugen. In die möchte man schauen und die eigene, verlorene Freude an Weihnachten wieder finden wie in einem Spiegel, denkt Ursula. Aber jetzt ist Hochsommer. „Komm rein“, sagt sie, „und zieh den Mantel aus, du schwitzt dich ja zu Tod.“

Das Kind schlägt die Kapuze zurück und Engelshaare quellen hervor. Es schlüpft aus dem Mantel und flattert mit zwei Flügeln. „Die sind unterm Mantel immer so eingezwickt“, erklärt es der fassungslosen Ursula. Noch dazu trägt es einen rosafarbenen Bikini mit Glitzersternchen. „Nimmst du mich mit ins Schwimmbad?“, fragt es.

Ursula schluckt. „Na klar“, sagt sie tapfer, klemmt das Christkind auf den Gepäckträger und radelt mit ihm ins Freibad. Ein Erwachsener, ein Kind, macht sieben fünfzig.

Das Christkind stürzt sich ungestüm und jubelnd ins Wasser. Es platscht und schäumt und spritzt, dann geht es unter wie ein Stein. Das Christkind kann nicht schwimmen. Der Bademeister rettet es. Ursula wickelt das chlorwasserspuckende Kind in die Badedecke und wiegt es tröstend. 

„Die arme Kleine“, sagt der Bademeister, „sie ist am Rücken wohl ein wenig behindert. Aber ich könnte ihr durchaus das Schwimmen beibringen.“

„Es ist das Christkind“, erklärt Ursula. „Es ist nicht behindert. Das sind seine nassen Flügel.“

„So, so“, sagt der Bademeister, „verstehe.“ (Auch noch eine kopfbehinderte Frau.)

Die Haare des Christkinds sind tropfnass, man kann seine Segelfliegerohren sehen. Plötzlich knurrt es. „Hunger“, stöhnt das Christkind.

„Ach je“, sagt Ursula.

„Kein Problem“, sagt der Bademeister, „ich besorg schnell was.“ Er kommt mit Pommes und Ketchup und einem Paar Wiener mit Senf und Brot zurück. Das Christkind staunt. Es hat noch nie Pommes mit Ketschup oder Wiener mit Senf und Brot gegessen. Es kennt nur Christstollen, Elisenlebkuchen, Mandelspekulatius, Vanillehörnchen, Husarenkrapferl, Kokosmakronen, Spritzgebäck, Zimtsterne ecetera pe pe. Überglücklich schlingt das Christkind die Pommes und auch die Würstel hinunter und schmiert sich den Ketschup und Senf bis zu den abstehenden Ohren. Ursula und der Bademeister schauen fasziniert zu. 

Dann rülpst das Christkind ein bisschen und sagt: „Danke!“

„Gern geschehen“, meint der Bademeister und erklärt, dass morgen sein freier Tag sei und ob sie schon etwas vorhätten. Sie könnten zum Beispiel spazieren gehen und anschließend zum Kaffeetrinken oder in einen Biergarten, falls Ursula das lieber wäre.

„Eins nach dem anderen“, sagt Ursula.

Wieder zu Hause verrät das Christkind, dass es gut im Wünsche erfüllen ist, und ob ihr der Bademeister recht sei, die Prinzen waren gerade aus.

„Es ist ein netter Mann“, lächelt Ursula, „und für einen Biergarten gerade recht.“

Das Christkind fragt, ob es noch ein paar Tage bleiben darf und wie Pistazien-Eis schmeckt und Maracuja. Sie probieren alle Sorten der Reihe nach durch und das Christkind ist total glücklich. Und Ursula ebenso. Ein Sommer mit Christkind und Bademeister – ist doch nicht schlecht, oder?

 

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